„Ein Kulturbotschafter der Stadt“
Heidelberger Sinfoniker feierten 20-jähriges Bestehen ohne ihren Chefdirigenten Thomas Fey – OB Würzner lobte „fantastische Arbeit“
Es gab viele Premieren an diesem Abend in der Stadthalle: Zum einen spielten die Heidelberger Sinfoniker erstmals nicht unter ihrem Gründer und Chefdirigenten Thomas Fey, der sich wegen eines Unfalls immer noch in der Klinik befindet. Zum anderen wagten sich die Sinfoniker aus Anlass ihres 20-jährigen Bestehens an eine Sinfonie von Robert Schumann. Und zum Dritten sprach Oberbürgermeister Eckart Würzner beim anschließenden Empfang über dieses „tolle Orchester“ und die „fantastische Arbeit“, die Thomas Fey hier lange Zeit geleistet habe.
Timo Jouko Herrmann war der eigentliche Retter dieses Jubiläumsauftritts, und es ist bemerkenswert, dass er als einspringender Dirigent alle Programmpunkte wie vorgesehen realisieren konnte. Er hielt das Orchester gut zusammen, konnte es befeuern und zu einem geschmeidigen, bisweilen samtigen Klang animieren. Hier unterschied er sich musikalisch vielleicht am ehesten vom seinem Freund Thomas Fey, der es gerne kratziger, kantiger mag.
Mit Konzertmeisterin Ariane Volm zeigten sich die Sinfoniker auch ohne Chef als ein konzentriert aufspielendes Team, in dem sich jeder Musiker nicht allein solistisch zu positionieren weiß, sondern stets das Ganze im Auge hat. Die präzise Vorbereitung war dabei ebenso erkennbar (etwa am exakt koordinierten Auf- und Abstrich der Streicher und der bewussten Artikulation der Einzelstimmen) wie das gelöste Musizieren (in der Mendelssohn- Ouvertüre zu „Ruy Blas“).
Musikalische Routine war nie eine Eigenschaft, die sich die Sinfoniker auf die Fahne schrieben. Es ging ihnen immer um die Neuentdeckung auch von Altbekanntem. In diesem Fall um die frühe Fassung von Schumanns Vierter Sinfonie, die zusammen mit seiner Ersten 1841 entstand, also zehn Jahre vor der Überarbeitung, die Schumann später als Vierte edierte. Diese Erstfassung erlebte in den letzten Jahren eine kleine Renaissance. Unter anderem setzte sich Simon Rattle für sie ein. In Heidelberg wurde sie vom Philharmonischen Orchester vor circa einem Jahr vermutlich das erste Mal überhaupt gespielt, was damals allerdings ohne große Aufmerksamkeit vonstatten ging. Jetzt ließen die Sinfoniker sie hören. Die Besetzung ist zwar identisch, allerdings ist die Instrumentation filigraner, auch manche Übergänge sind später neu komponiert worden. Den Hauptunterschied machte aber die auffallende Abhängigkeit vom Klavier aus, die Schumann später durch sinfonischere Instrumentation kaschierte: Häufig klingt diese Frühfassung wie eine direkte Übertragung von Klaviergedanke auf den Orchesterapparat. Die Heidelberger Sinfoniker unter Herrmanns anfeuernder Leitung präsentierten das Werk als interessanten, vollgültigen Baustein in Schumanns sinfonischem Schaffen.
In der ersten Hälfte des gut besuchten Konzertabends hörte man Beethovens Viertes Klavierkonzert mit dem Solisten Martin Stadtfeld. Dieser hat schon öfter mit den Sinfonikern musiziert und schätzt das Orchester sehr, wie er in dem Gespräch nach dem Konzert beteuerte. So fiel auch hier der gute Kontakt des Pianisten zu Dirigent und Orchester besonders auf. Stadtfeld fasste den Kopfsatz sehr sinfonisch auf und gestaltete seinen eigenen Part quasi aus der Ornamentik heraus. Diese Poesie stand auch in den folgenden Sätzen im Vordergrund, der Pianist zauberte Farben und das Orchester folgte eloquent und einfühlsam. Virtuosität erschien hier weniger auftrumpfend als verinnerlicht, was auch die Zugabe prägte: Schumanns „Der Dichter spricht“ folgte nach begeistertem Applaus Stadtfeld und die Sinfoniker zeigten sich an diesem Abend in besonderer Weise einig, und so war es kein Wunder, dass der berühmte Solist es sich nicht nehmen ließ, die Schumann-Sinfonie vom Rang aus zu verfolgen und den anschließenden Empfang zu besuchen.
OB Würzner war offenbar ebenso entzückt von dem Konzertevent. Auch wenn die Sinfoniker „nicht unser Orchester“ seien, so das Stadtoberhaupt, so würden sie doch als „Botschafter der Stadt“ in der ganzen Welt gehört. Michael Neuhaus, Erster Kontrabassist und Gründungsmitglied der Sinfoniker, freute sich über dieses Lob des Oberbürgermeisters, fügte aber hinzu, dass hinter solchen Worten auch Taten stehen sollten: Es bedürfe „einer Stadt, die wirklich hinter ihrem Kulturbotschafter steht, ihn entsprechend stabil unterstützt und ihn nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung und Ergänzung zum bestehenden städtischen Kulturleben und Stadtischen Orchester betrachtet“. In der Tat: Es wäre zu wünschen, dass die Stadt ihre derzeit ausschließlich verbale Unterstützung überdenkt. Denn auch wenn die Stadtbediensteten dieses Orchester nicht als „ihres“ ansehen mögen – die Heidelberger Musikfreunde tun es längst.
Von Matthias Roth, Rhein-Neckar-Zeitung, 24. November 2014
Großmeister in Sachen Sensibilität
Naturgemäß galten die Gedanken am Konzertabend Thomas Fey, der nach einem Unfall den Taktstock Timo Jouko Herrmann überlassen musste. Doch dieser Musiker ist den Heidelberger Sinfonikern schon lange verbunden, und sein Dirigat gab dem Orchester sicheren Halt und jene Inspiration, die das Spiel des Klangkörpers immer aufregend frisch und gleichzeitig durchdacht aufleuchten lässt.
Beim Jubiläumskonzert - 20 Jahre Heidelberger Sinfoniker - standen Klassiker auf dem Programm. Haydns Ouvertüre zum Oratorium "Die Schöpfung" blühte aus den seidenzart gedämpften Streichern auf; geheimnisvolle Ruhe und feine Färbungen durchzogen die Wiedergabe. Die selten zu hörende Ouvertüre zu "Ruy Blas" von Felix Mendelssohn Bartholdy lebte vom hochherzigen Idiom des Komponisten und gönnte dem Hörer einen glänzenden Bläsersatz ebenso wie ausgezeichnete Transparenz auch während der Tutti-Passagen. Bei Schumanns vierter Sinfonie, in der von Brahms favorisierten Urfassung gespielt, fiel die innige Verklammerung der unterschiedlichen Stimmungsgehalte auf; weitgehend ohne Vibrato erscheint der Klang immer klar und akzentuiert; Orchester und Dirigent entwarfen ein attraktives sinfonisches Gemälde voller Fantasie und Zuwendung.
Brillanter Martin Stadtfeld
Doch die größte Faszination ging von Beethovens viertem Klavierkonzert aus, denn der Solist Martin Stadtfeld hat wieder einmal als Großmeister der Sensibilität geglänzt. Wie mit dem Zauberstab stellt er die ersten Klaviertakte vor, edel, poetisch und rein. Damit gibt er den Grundton vor, der die Interpretation so nuancenreich durchzieht.
Stadtfeld beherrscht die Kunst des Klaviergesangs wie kaum ein anderer. Er gestaltet das Stück einfach wunderschön und deutlich individueller als üblich - und das Orchester geht sehr gut auf ihn ein. Es ist schon ein Glücksfall, wenn ein bekanntes Werk neu gehört werden darf. Der Poet am Klavier spielte noch Schumanns "Der Dichter spricht" als Zugabe. Das Publikum war begeistert und wünscht Thomas Fey baldige Genesung.
Von Eckhard Britsch, Mannheimer Morgen, 25. November 2014