Konzertkritiken
Konzert der Heidelberger Sinfoniker zum neuen Jahr begeistert mit Qualität, Musikern, Solisten und Ausstrahlung
Mit einem Feuerwerk an Melodien, die alle unter dem Motto „La dolce vita“ standen, läuteten die Heidelberger Sinfoniker im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses das neue Jahr ein. Unter der Leitung von Josep Caballé Domenech präsentierte das Orchester die schönsten Werke von Mozart bis Strauß. Domenech hatte schon die berühmtesten Orchester mit seinem Dirigierstab angeführt und ist international unterwegs im Bereich Oper und Konzert. Sein ganzes Können offenbarte sich bereits in der Ouvertüre aus der Oper „Cosi fan tutte“, mit der das Orchester das Konzert eröffnete. Festlich und voller Elan, mit feinen und doch bestimmten Bewegungen vereinte er das Orchester zu einem Ganzen und balancierte mit Leichtigkeit die feinen Töne der Wiener Klassik.
Genau dort gesellte sich auch Kai Preußker mit auf die Reise. Der Bariton sang die Arie des Gugliemo „Rivolgete a lui lo sguardo“, die W. A. Mozart […] sollte er noch in andere Rollen schlüpfen, die alle verschiedene Facetten seiner reichen Stimme zum Vorschein brachten. Auf der Bühne ist er vor allem im Opernbereich zu Hause und übernahm zahlreiche Partien in bekannten Opernhäusern. […]
Ein weiterer Gast, der das Neujahrskonzert mit seiner charmanten Stimme begeisterte, war Eva Schramm, eine vertraute Stimme aus BR-Klassik und NDR Kultur. Als Sopranistin trat sie später mit unvergleichlich klarer Stimme im Duett mit Kai Preußker auf, im Verlauf des Konzerts bereicherte sie die Musik mit einer leichten und sehr sympathischen Moderation. […]
„Im italienischen Stil“ ging die Reise weiter bei Franz Schubert[…] und Felix Mendelssohn Bartholdy ( 1. Satz aus „Italienischer Sinfonie“).
Nach einem festlichen Auftakt war das Publikum eingeladen, in der Pause ein Glas Sekt zugenießen: […] Zitat Konzertbesucher: „Dadurch, dass in der letzten Zeit nicht so viel ohne Einschränkungen passiert ist, war es zusätzlich ein Aha-Effekt: von der Qualität, von den Musikern, von der Ausstrahlung der Sinfoniker. Das ist wirklich ein Erlebnis.“
Nach der Pause ging es im Programm weiter auf der Italienreise mit den Komponisten Gioacchino Rossini und Enrico Toselli. […] und mit „Marechiare“, vertont von Francesco Paolo Tosti. Ein Neujahrskonzert ohne einen Walzer wäre kaum vorstellbar und so lud das Orchester […] ein zu „Künstlerleben“ von Johann Strauß II.
Michael Neuhaus, Mangager der Heidelberger Sinfoniker, sieht den Auftakt in ein konzertreiches Jahr voller Musik und Lebenslust gelegt: „Die zwei Jahre Pandemie sind natürlich an keinem von uns spurlos vorübergegangen. Wir als Veranstalter bemerken das natürlich besonders. Wir freuen uns sehr über unser ausverkauftes Konzert hier in Schwetzingen, auch tags zuvor in Wiesloch war es sehr gut besucht und nehmen das nun einfach mal als Zeichen, dass das Publikum gerne auch wieder ins Konzert kommt und gerne wieder ins kulturelle Leben zurückkehrt.“ […]
Viktoria Linzer, Schwetzinger Zeitung, 4. Januar 2023
Johannes Brahms und seine idyllische Welt in Eppelheim
Das Konzert mit den Heidelberger Sinfonikern und der renommierten Pianistin Ragna Schirmer in der Rudolf-Wild-Halle erforderte von beiden nicht nur Virtuosität, sondern auch Sensibilität in der Interaktion. Und das gelang auf beachtliche Weise.
Mit dem Dirigenten Johannes Klumpp begrüßte das Publikum ein bekanntes Gesicht. Als künstlerischer Leiter hat er sich für seine ungewöhnlich stimmigen Programme seit geraumer Zeit einen Namen gemacht. Für das Konzert in Eppelheim stellte er eine Abfolge von zwei Stücken zusammen, die eine Fülle von Querbezügen offenbarte. Denn beide Werke, das Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 7 von Clara Schumann (1819-1896), und die Sinfonie Nr. 2 in D-Dur op. 73 von Johannes Brahms (1833-1897), stammen von Tonschöpfern, die eine innige Beziehung verband: Brahms liebte und verehrte die 14 Jahre ältere Clara Schumann zeitlebens.
Der Abend wurde mit diesem wunderbaren Stück von Clara Schumann eröffnet, in das Pianistin und Komponistin Ragna Schirmer einführte. Wie keine andere kennt sie Clara, die lange im Schatten ihres genialen Mannes Robert stand. Anlässlich von Clara Schumanns 200. Geburtstag 2019 förderte Schirmer Erstaunliches zutage […].
Clara Schumanns Klavierkonzert kennt Ragna Schirmer wie kaum eine andere, sie hat das Stück oft intoniert und eine phänomenale Einspielung veröffentlicht. In ihrem Spiel wusste sie jedes Detail und jede Ausformulierung zu gewichten. Nie wirkte es aufgesetzt, das Lyrische nie verzärtelt. Den Schwerpunkt legte Schirmer auf die musikalische Essenz, sodass dieses Konzert für Klavier und Orchester in ungewohnter Frische daherkam. Wunderbar zart und poetisch färbte sie den zweiten Satz, das große Solo für Klavier und Cello. Obwohl so unterschiedlich im Klang, verbanden sich beide Instrumente zu einer harmonischen Symbiose. Dass Ragna Schirmer technisch in bester Form war, ließ sich auch an den zwei Zugaben – eine Etüde von Chopin und ein Klavierstück von Clara Schumann – feststellen. Das Publikum war hingerissen.
Nach der Pause erzählte Dirigent Johannes Klumpp in seiner betont launigen Moderation einiges über Brahms zweite Sinfonie, deren Entstehung nur einen Sommer gedauert hat […]. Komponiert hat Brahms sie in der idyllischen Umgebung des Wörthersees. Der erste Satz klingt, als würde Brahms ausatmen und sich entspannt zurücklehnen. „Brahms ist ein großer Architekt, er nimmt sich ganz kurze Motive und baut daraus eine ganze Welt – diese Sinfonie hat man die Pastorale genannt, trotzdem liegt über allem ein Schatten, es ist, als ob es die Erinnerung an eine Idylle wäre“ so Klumpp.
Es ist kein moderner Brahms, den er hier vorführt, er lässt die Komposition so erklingen, wie sie gedacht war: voller Romantik, Sehnsucht und pastoser Schwere. Klumpp nimmt sich Zeit für geschmackvolle Rubati, für schwelgerische Momente wie im herrlichen Adagio non troppo. Mit großer Sensibilität folgt ihm das Orchester, das sowohl romantische Wärme als auch sinfonische Wucht entfaltet, wo immer es das Stück erfordert. Der langanhaltende Jubel war so groß, dass die Sinfoniker den Abend mit dem berühmten Ungarischen Tanz Nr. 5 von Brahms als Zugabe beendeten
Maria Herlo, Schwetzinger Zeitung, 19.11.2022
[...] Die Heidelberger Sinfoniker hatten nun für ihr Abschlusskonzert des[nbsp]Festivals "Explore Haydn" mit dem Königssaal ebenfalls ein Schloss als Spielstätte.
Den Abend eröffneten sie mit ebenjener Ouvertüre zu Haydns Oper "Orlando Paladino" [...]. Im Mittelpunkt des Abends stand natürlich Haydn, Hauskomponist der Sinfoniker. Mit ihm haben die Musiker am meisten zu sagen, was man gleich in der Ouvertüre merkte: Voller Tatendrang und mit verschmitztem Beiklang kitzelte das Ensemble eine Vielzahl an Farben und Schattierungen aus der Musik, die dank ihrer vitalen Leichtigkeit unmittelbar beim Hörer ankam. In überschaubarer Besetzung gelang hervorragend der Spagat zwischen üppigem Orchestersound und kammermusikalischen Einsprengseln.
Noch eindrucksvoller war die Interpretationsarbeit in Haydns 78. Sinfonie. Mit viel Akribie und Gestaltungswillen durchforsteten Johannes Klumpp und die Sinfoniker dieses c-Moll-Werk. Sie schlugen dabei immer neue Wege ein, die ganz eigene Welten entstehen ließen. Jedes Motiv erzählte seine Geschichte, was in der Summe ein überaus vielschichtiges und reichhaltiges Gesamtkonstrukt ergab. Durch die kurzweilige und pointierte Musizierweise blieb man als Hörer permanent nah und aktiv am musikalischen Geschehen. Diesen Haydn muss man erstmal nachmachen!
Vokale Bereicherung gab es durch Simona Šaturová, die sich Haydns Angelica-Arie "Aure chete" mit sehr kultivierter Stimmgebung annahm. Wohl durchdacht setzte sie ganz gezielt ihre dynamischen Mittel ein, wodurch auch filigrane Dialoge mit den Geigen hörbar wurden. Schon lange vor Bizet landete Giovanni Paisiello mit seinem "Barbiere di Siviglia" einen Hit, dessen Ouvertüre mit scharfen Tempi und knallharten Zuspitzungen äußerst spritzig daherkam. Von der Rosina-Arie "Giusto ciel" servierte Šaturová in Begleitung betörender Klarinetten eine geradezu herzzerreißende Version. Den größten Jubel erhielt die Sopranistin schließlich für ihre famose Virtuosität in den Höhen von Mozarts Constanze-Arie "Martern aller Arten" aus der "Entführung aus dem Serail". [...]
Simon Scherer, Rhein-Neckar-Zeitung, 11.10.2022
Und wo wohnt Gott?
Als Astronom berühmt, als Sinfoniker vergessen: Ein Abend zum Uranus-Entdecker Wilhelm Herschel beim „Frühling“.
Und wie ich dann 40 war, war’s aus“, schrieb Thomas Bernhard, und James Joyce nahm sich vor, bis zu seinem 40. Geburtstag seinen „Ulysses“-Roman zu publizieren. Anders der Komponist und Musiker Friedrich Wilhelm Herschel, der trotz solider Stellung und guten Erfolgsaussichten in der Londoner Musikszene mit etwa 40 Jahren damit begann, ein ganz anderes Arbeitsfeld zu erkunden: das der Astronomie. Berühmt geworden ist er schließlich als Entdecker des später Uranus genannten siebten Planeten unseres Sonnensystems (März 1781).
Ein Abend im Rahmen der Heidelberger Frühlings machte mit dem Künstler und Wissenschaftler bekannt und gab Gelegenheit, auch einmal Musik des Haydn-Zeitgenossen zu hören. Denn als Musiker ist Herschel nahezu vergessen.
Er wuchs in Hannover als Sohn eines Militärmusikers auf. Musik war in der kinderreichen Familie dauerpräsent, die Laufbahn als Musiker vorgezeichnet [...]
Früh war Wilhelm in die Kapelle seines Vaters integriert, und er begann zu komponieren: Das Konzert für Viola und Streicher, das die französisch-ägyptische Solistin Sindy Mohammed und die Heidelberger Sinfoniker unter der Leitung von Johannes Klumpp in der Neuen Aula spielten, schrieb er mit 21. Vor allem der Mittelsatz zeugt von melodiöser Einfühlsamkeit, während die Rahmensätze Vogelmotive imitieren.
[…] Als der Siebenjährige Krieg ausbrach, wurde Herschels Regiment zeitweise nach London verlegt, wo er später als Organist und Komponist arbeitete.
Der Heidelberger Astronom Markus Nielbock schilderte die Ereignisse in einem frei gehaltenen Vortrag mit zahlreichen Anekdoten. In England begann Herschel, sich intensiv mit der Astronomie zu beschäftigen. Vor allem fing er an, Spiegelteleskope zu bauen, da ihm zeitgenössische Geräte nicht zweckdienlich schienen. So schliff er neben seiner musikalischen Tätigkeit als Organist, Lehrer und Dirigent (etwa des Händelschen „Messias“) zum Teil sehr große Metallspiegel (Durchmesser 1,26 Meter!) und beobachtete damit, zusammen mit seiner Schwester Caroline, den Nachthimmel.
Die Entdeckung des Uranus setzte die Welt schließlich in Staunen, weil unser Sonnensystem dadurch mit einem Schlag mehr als doppelt so groß wie bisher angenommen erschien, und dieses hatte seit der Bestimmung der wahren Entfernung zwischen Sonne und Erde in den 1760er Jahren auch bis zum äußersten der bis dahin bekannten Planeten, Saturn, schon gewaltige Ausmaße. […].
Herschel war als Astronom genauso begabt wie als Komponist: 24 Sinfonien, 14 Solokonzerte und zahlreiche Kammermusik- und Orgelwerke stehen neben Untersuchungen zu Nebeln und Sternhaufen oder der Entdeckung der Infrarotstrahlung.
Drei Sinfonien führten die Sinfoniker in diesem vom SWR aufgezeichneten Konzert auf, und diese bewiesen das breite Spektrum des musikalischen Ausdrucks zwischen Empfindsamkeit und Frühklassik, Mannheimer Schule und dem italienischen Stil Johann Christian Bachs […]. Ein interessanter Abend zwischen Tönen und Sternen, der viel Beifall erhielt.
Matthias Roth, Rhein-Neckar-Zeitung, 31.3. 2022
Beethovens Zehnte
Robert Schumann kündigte 1853 in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ den gerade einmal 20-jährigen Johannes Brahms als denjenigen an, der Beethovens symphonisches Werk kongenial weiterführen könne, während er selbst an seinem letzten großen Werk, dem Violinkonzert, arbeitete und wenig später in geistige Umnachtung fiel. Brahms indes brauchte fast 25 Jahre, ehe er seine erste Symphonie in c-Moll vollenden konnte, da er nach Schumanns Prophezeiung „ständig einen Riesen hinter sich gehen hörte“. Diese beiden Werke präsentierten die Heidelberger Sinfoniker unter Johannes Klumpp im Palatin Wiesloch[...] Klumpp inszenierte die Brahms 1. Symphonie als existenzielles Drama. Durch vitale Rhythmik, harte Akzente und stimmige Tempodifferenzierungen erzeugte er vor allem in den Ecksätzen eine fast atemberaubende Spannung, die sich am Schluss (...) im Palatin ganz selbstverständlich in begeistertem Beifall entlud. […] Das Orchester spielte durchgängig in demselben Klang, der etwas Objektives, Geistiges hatte, dem aber Sinnlichkeit und subjektives Gefühlserleben abging[…] Der Orchesterklang hätte viel mehr dem späten, also tauben Beethoven entsprochen, der Musik ja nicht mehr sinnlich erfahren konnte. Dadurch wurde die Brahms 1. Symphonie zu dem, als das sie manchmal auch bezeichnet wird: Beethovens Zehnter. […]
Christoph Wagner, Rhein-Neckar-Zeitung, 29.11.2021
Die Heidelberger Sinfoniker brillieren auf der Bühne des Rokokotheaters
[…]zu einem wahrlich bemerkenswerten Konzert der Heidelberger Sinfoniker, das in vielerlei Hinsicht aus dem traditionellen Rahmen fiel.
Und diese so ganz andere äußere Art der Präsentation spiegelte sich auch in der musikalischen Realität: Dirigent Johannes Klumpp organisiert nicht bloß die Koordination seiner Musikanten, sondern spricht auch zum Publikum wohl dosiert über historische und formale Einzelheiten der Stücke; der singende Stargast, die Sopranistin Simone Kermes, verzichtet auf jede Attitüde einer Primadonna[…].
Dabei gehören auch heutzutage schon noch ein paar Takte Mut dazu, ausschließlich Werke von Joseph Haydn zu präsentieren. Verlangt sonst die Struktur eines Abends gewöhnlich auch eine gewisse Abwechslung der Stile und der Komponistennamen, so konzentriert sich hier alles auf „Papa Haydn“, wie Mozart sein großes Vorbild voller Hochachtung titulierte.
Hier aber entlockt der noch neue Chefdirigent der Heidelberger Sinfoniker den Ouvertüren (dreier Opern) und den Sinfonien Nr. 28 in A-Dur und Nr. 23 in G-Dur eine verblüffende Phantasie der klingenden Ideen des Satzes, die Haydns Kompositionen derart einzigartig und unverwechselbar machen.
Dass Johannes Klumpp in seiner ebenso informativen wie humorvollen Moderation vor jedem einzelnen Werk auf spannende und geistreiche Details hinweist und damit der Hörerfamilie […] kluge Hörhilfen gibt, ist ihm hoch anzurechnen. Ganz offenbar will Klumpp mit dieser Art der Musikvermittlung auch neue, vielversprechende Wege einschlagen, das Publikum noch stärker miteinzubeziehen und es vor einer gefährlichen Konsumentenrolle zu bewahren.
[…]Dabei setzt er – weniger heftig als sein ebenso legendärer wie unvergessener Vorgänger im Amt, Thomas Fey – auf scheinbar spontane Ausbrüche oder lautstarke Akzente, sondern auch auf die stilleren Passagen, die lyrischen Momente, die Introvertiertheit der ruhigen Andante- und Adagio-Sätze. Dass die Heidelberger Sinfoniker nicht bloß in den blitzsauberen Allegro- und Prestoteilen, sondern gerade bei deren bedächtigen „Kehrseiten“ auch in der Zurückhaltung so überzeugend musizierten, lässt auf ein ungetrübtes Miteinander von Dirigent und Ensemble schließen. Auf die Gestaltung gerade dieser verträumten Sinfonien-Abschnitte dürfen sich die Musikfreunde bei den bald vorliegenden CD-Einspielungen besonders freuen.
Einen gewissen Kontrapunkt zu dieser höchst differenzierten Musizierweise steuerte die Sopranistin Simone Kermes bei. Sie sang mit Feuer und strahlender Intensität drei Opernarien aus Haydns reichem, leider sehr vernachlässigtem und deshalb schier unbekanntem Bühnenschaffen und setzte dabei durchweg auf ihre für die Dimensionen des Rokokotheaters fast überbordende Stimme. In der vielfach bewährten Händel-Zugabe „Lascia ch’io pianga“ gab sie dann allerdings auch den intimeren und gedämpften Tönen den angemessenen Raum. Bewundernswert bleibt aber ihre hohe Kunst der zielgenau gestochenen Koloraturen.
Bruno Dumbeck, Schwetzinger Zeitung, 18. Oktober 2021
Gib Gas mit Haydn
[…]Zeitgleich zum SWR -Festival-Start gaben unabhängig davon auch die Heidelberger Sinfoniker unter ihrem neuen Chefdirigenten Johannes Klumpp im Rokokotheater ihren Wieder-Einstand[…]: Auch sie sind wieder da, und sie geben Gas mit Haydn.
Was gibt es Schöneres über einen alten Freund zu sagen, als dass er sich gar nicht verändert habe? Sicher: Das ist meist eine Lüge. Auch die Sinfoniker sind älter geworden. Einige Musiker standen gar schon 1990 hier auf der Bühne[…]. Das ist sehr lange her, und sie spielten sie einen kratzbürstigen Vivaldi unter Thomas Fey. Die Haydn-Sinfonien Nr. 23 (G-Dur) und 28 (A-Dur) klingen da heute sehr viel differenzierter, subtiler, geschliffener. Das liegt nicht nur am neuen Dirigenten, das liegt freilich auch an der langjährigen Erfahrung der Musiker. Auch der jetzige Haydn-Klang ist ein anderer als noch vor wenigen Jahren, als man mit der CD-Einspielung aller Sinfonien begann. Es wäre ja auch verwunderlich, wenn alles gleich bliebe: Aber trotz Veränderung ist der Kern der Interpretation kaum anders als früher. Das liegt zum einen am beibehaltenen Instrumentarium (moderne Geigen historisch informiert gespielt, moderne Holz- und historische Natur-Blechbläser), aber auch an der Art und Weise der Artikulation, der beredten Klangsprache dieses Orchesters, das diese bei Nikolaus Harnoncourt gelernt hat. Johannes Klumpp nun ist ein genauer Analyst des Notentextes. Launig und nicht ohne Witz erklärt er dem Publikum, was das Besondere an dem ist, was man gleich spielen wird. Sein Dirigat ist emphatisch (besonders in den langsamen Sätzen), tänzerisch im Menuett und sachlich steuernd in den rasant genommenen Finalsätzen. Hier ist auch der Mut zum Risiko geblieben: Speziell das Rokokotheater schenkt da ja leider nichts. Als Solistin konnte man die Sopranistin Simone Kermes gewinnen, die mehrere Arien sang, darunter sehr koloraturenreiche aus Haydns Fragment gebliebener Orpheus-Oper. Die Sängerin gab dem Abend Glanz und spitze Höhen, die lange nachhallten.
Matthias Roth, Rhein-Neckar Zeitung, 18. Oktober 2021
Plädoyer für Haydn
[…]Die Heidelberger Sinfoniker haben schon vor Jahren das verdienstvolle Projekt gestartet, mit einer Gesamteinspielung aller Haydn-Sinfonien diese musikalischen Juwelen von unschätzbarem Wert besser bekannt zu machen.
Zum Erscheinen der 25. dieser CDs bieten sie derzeit unter der Überschrift „Explore- Haydn“ eine Veranstaltungsreihe an. Im Zentrum stand das Sinfoniekonzert im Bürgerhaus Heidelberg Emmertsgrund „1764 - Eine Haydn-Zeitreise“.
In einer Podiumsdiskussion mit dem Dirigenten Johannes Klumpp und dem Historiker Justus H. Ulbricht wurde zunächst sehr informativ und unterhaltsam „Der Geist einer Epoche“ beschworen, ehe im eigentlichen Konzert die Sinfonien Nr. 21 A-Dur und Nr. 22 Es-Dur „Der Philosoph“ erklangen.
Zwischen den Sätzen las Sebastian Koch mit plastisch-sprachlicher Gestaltung und manch ironischem Augenzwinkern eine von dem mehrfach preisgekrönten deutschen Jung-Dramatiker John Birke für dieses Konzert verfasste Chronik des Jahres. [...]
Die Haydn-Interpretationen Klumpps und der Heidelberger Sinfoniker jedenfalls muss man uneingeschränkt als beispielgebend bezeichnen, vor allem, weil es ihnen immer gelingt, die der Musik innewohnende immense Energie in kaum je gehörter Weise zum Klingen zu bringen und damit E. T. A. Hoffmanns Vorurteil eindeutig zu widerlegen. Wir erlebten ein leidenschaftliches Plädoyer für den Sinfoniker Haydn mit dem Aufruf an alle Dirigenten: Macht diese grandiose Musik endlich allgemein bekannt!"[…]
Christoph Wagner, Rhein-Neckar-Zeitung, 13. Oktober 2021
Mit einem Wort: Elektrisierend!
Die Heidelberger Sinfoniker und ihr neuer Chefdirigent Johannes Klumpp sind ein Phänomen
Wenn es im Publikum und auf der Bühne gleichermaßen knistert und funkelt, dann gehört ein Konzert sicher zu den ganz besonderen Gelegenheiten, die man auch als fleißiger Konzertbesucher nicht wirklich oft erleben darf. Bei den Heidelberger Sinfonikern am Donnerstag Abend um 20 Uhr war dieses Knistern mehr als deutlich zu spüren[...]. Denn was diese 18 Musiker mit ihrem neuen Chefdirigenten Johannes Klumpp da auf die Bühne der Alten Mälzerei zauberten, ist tatsächlich phänomenal: So geschlossen, so vollkommen transparent, dabei aber ohne eine Spur von seelenloser Perfektion, sondern voller Elan und echter Spielfreude wurde da musiziert, dass es eine wirkliche Freude war, dem Orchester dabei zu folgen. Befeuert wird all dies durch den Mann am Pult, der mit seinen expressiven Gesten offenbar nicht nur jeden einzelnen seiner Musiker zu persönlicher Höchstleistung inspiriert, sondern dabei auch die Musik für seine Zuhörer quasi illustriert und kommentiert.
Und das beherrscht Johannes Klumpp nicht nur mit seinem Dirigat, sondern virtuos auch mit Worten. Seine ebenso differenzierten wie humorvollen Einführungen zum Programm sprühten nur so vor Energie und einem ansteckenden Enthusiasmus[...]. Die Einspielung aller 107 Sinfonien von Joseph Haydn (1732-1809) ist ein Herzensprojekt des Orchesters, das unter der Leitung seines Gründers und ersten Chefdirigenten Thomas Fey begonnen und jetzt von Johannes Klumpp weitergeführt wird. Für dieses Programm hatte man drei recht frühe Sinfonien ausgewählt, in denen bereits Haydns Originalität und Experimentierfreude aufscheinen: Die Sinfonie Nr. 3 in G-Dur[...], Nr. 14 in A-Dur und Nr. 12 in E-Dur[...]. Was uns heute so vertraut wirkt an diesen galanten, von höfischer Eleganz geprägten frühen Sinfonien, war zu jener Zeit pure Avantgarde. Die klassische Sinfonie als Genre nahm tatsächlich mit Haydn ihren Anfang, er wurde damit zum Wegbereiter für Mozart, Beethoven und die frühe Romantik. Und wer könnte das besser hörbar machen als die Heidelberger Sinfoniker, die diese Musik mit soviel Herzblut spielen.
Dieses Konzert war wieder einmal ein prachtvolles Beispiel dafür, dass „authentisches“ Musizieren nicht zwingend mit Darmsaiten und Barockbögen passieren muss. Bis auf eine bedeutsame Ausnahme – die beiden ventillosen „historischen“ Hörner verliehen dem Ganzen eine besondere, warme Klangfarbe - war das Orchester an diesem Abend durchwegs auf modernem Instrumentarium unterwegs. Es ist sozusagen weniger die Hardware, die diese spezielle Klangqualität erzeugt, sondern die Software im Kopf der beteiligten Musiker. Und das zeigten die Heidelberger Sinfoniker hier auf beeindruckende Weise: Vollkommen ohne Vibrato mit perfekter Intonation zu spielen – Kenner wissen, wie heikel das bei einer so kleinen Besetzung werden kann – ist nur ein Aspekt, aber diese Myriaden von fitzeligen Streicherfiguren bei teils teuflisch flotten Tempi so blitzsauber zusammen abzuliefern … Hut ab! Das war einfach großartig, frisch und stringent musiziert, mit voller Konzentration bis zum letzten Akkord der Zugabe. [...]
Pia Geimer, Rhein-Neckar-Zeitung, 12. Juli 2021
Die Faszination des Handlungsballetts, einer Choreografie, die ohne Worte eine Geschichte erzählt, war seit dem selbst gern tanzenden "Sonnenkönig" Louis XIV. von Versailles ausgehend in ganz Europa sehr verbreitet. Auch am Heidelberger Hof kam es Anfang des 18. Jahrhunderts zu einer kurzen Blüte dieses theatralen Genres[...]
Die Musiker des Mannheimer Hof-Orchesters, fast allesamt auch Komponisten, verfassten viele solche Stücke - die wenigsten haben allerdings die Zeiten überdauert, die meisten verbrannten 1945 im alten Nationaltheater.
Wie der Dirigent und Musikwissenschaftler Timo Jouko Herrmann zu Beginn des Konzerts in der Heidelberger Heiliggeistkirche zurecht hervorhob, handelt es sich dabei auch "um das kulturelle Erbe unserer Region", und daher ist das auf mehrere Jahre angelegte Projekt der Heidelberger Sinfoniker in Zusammenarbeit mit der Ballettwerkstatt Heidelberg, noch erhaltene Schätze wieder zum (Bühnen-) Leben zu erwecken, herzlich zu begrüßen. Die Stadt Heidelberg fördert es im Rahmen des Kulturfonds KulturLabHD.
Nun war als erste Produktion ein Werk von Christian Cannabich zu erleben, "Ceyx et Alcyone", das am 5. November 1762 als eines von zwei Zwischenakt-Balletts zur Oper "Sofonisba" von Tommaso Traetta in Mannheim uraufgeführt wurde[...]
Die Musik lohnt ihre Wiederausgrabung[…]machen viel Effekt und sind als Musik der "Mannheimer Schule" gut zu identifizieren: Dynamische Crescendo-Walzen, blitzende "Raketen" (schnell auffahrende Tonleitern) und schrille Kontraste sind unverkennbar und waren auch in den einleitenden Sinfonien von Johann Stamitz und Peter von Winter gut herauszuhören.
Die Sinfoniker unter Timo Jouko Herrmann spielten mit Rasanz und punktgenauer Rhythmik, was in der halligen Akustik der Heiliggeistkirche seine Wirkung nicht verfehlte. Man merkte deutlich, dass die Musiker mit dieser Musik bestens vertraut sind.
Die tänzerische Umsetzung der Ballettwerkstatt (Choreografie: Wiebke Hofmann und Paolo Amerio) war beeindruckend und brachte mit wenigen Mitteln erstaunliche Abwechslung ins Geschehen. Die jugendlichen Tänzerinnen und Tänzer (die Hauptrollen waren aus der Gruppe von zwölf Beteiligten perfekt besetzt worden) hielten den Spannungsbogen über 40 Minuten auf hohem Niveau.
Von Matthias Roth, Rhein-Neckar-Zeitung 17.09.2019