Neueste CD-Kritiken
Rondo Magazin, Attila Csampai, 04.03.2023
Seit 23 Jahren schon arbeiten die Heidelberger Sinfoniker an ihrer Gesamteinspielung aller Haydn-Sinfonien, und sind jetzt mit ihrem neuen Leiter Johannes Klumpp bei Folge 27 und vier frühen Eszterházer Arbeiten angekommen. Nachdem sich der Gründer und langjährige Chef des Ensembles Thomas Fey infolge eines schweren Unfalls zurückziehen musste, übernahm der heute 42-jährige Klumpp 2020 das Ensemble und will nun die ausstehenden Sinfonien in chronologischer Abfolge herausbringen:
So führt er seither auch den rabiaten, aufklärerischen Geist des von Fey etablierten musikalischen Konzepts nahtlos weiter, ja, die Spielfreude der 24-köpfigen Truppe klingt jetzt, nach der lähmenden Corona-Pause, noch wilder und entfesselter.
Die vier jetzt vorgelegten Sinfonien (Nr. 3, 33, 108, 14) stammen aus der Anfangsphase Haydns am Eszterházer Fürstenhof und entstanden 1761 und 1762, als der knapp 30 Jahre alte Haydn die aufwühlenden Energien der aktuellen „Sturm- und Drang“-Mode mit seinem damals schon ausgeprägten Experimentiergeist zu neuartigen „Versuchsanordnungen“ verdichtete, und so von Anfang seine eigene sinfonische Revolution in Gang setzte – ganz allein und „von der Welt abgesondert“, wie er später berichtete.
Gerade weil diese mitreißenden frühen Sinfonien bis heute kaum gespielt werden, ist die Bedeutung dieses bislang (erst) vierten Gesamtprojekts nicht zu unterschätzen: Bis 2024 soll es abgeschlossen sein, während Konkurrent Giovanni Antonini erst 2032 die Ziellinie anvisiert.
Noch mehr Sturm und Drang auf dem Weg mit Haydn
Rezension von Uwe Krusch, Pizzicato - Remy Franck's Journal – Classics In Luxembourg
Auf ihrem Weg zur Einspielung aller Symphonien von Joseph Haydn legen die Heidelberger Sinfoniker mit ihrem aktuellen Chef Johannes Klumpp nun eine Auswahl früher Werke vor.
Ein besonderer, eher rätselhafter Fall ist dabei die Nummer 108 in B-Dur. Trotz der hohen Nummer ist es eine frühe Komposition. Alle vier Sätze sind sehr kurz. Das musikalisch unauffällige Material im Allegro wird kaum durchgeführt. Immerhin bringt das Menuett eine zugespitzte punktierte Figur hervor, das Trio besticht durch das Fagottsolo. Das Andante ist besinnlich und unterliegt kontrapunktischer Bearbeitung. Für ein bemerkenswertes Klangbild sorgen die parallelen Dezimen.
Mit dieser bereits 27. Einspielung in der Reihe zeigen die Heidelberger Sinfoniker und ihr Dirigent Johannes Klumpp weiter durch die Sturm- und Drang-Werke von Haydn. Dazu passt ihre Herangehensweise, bei der sie voller Elan und Dynamik gemeinsam diesen Weg beschreiten. Es gelingt ihnen, aus den frühen Werken Facetten und Details herauszukitzeln. Dabei werden sie der Dynamik der schnellen Sätze mit frischem Zugriff ebenso gerecht wie rhetorisch ausformulierten langsamen Passagen. Das stürmende und drängende Spiel passt gerade für diese Werke bestens.
On their way to recording all of Joseph Haydn’s symphonies, the Heidelberg Symphony Orchestra with its current leader Johannes Klumpp now presents a selection of early works. A special, rather puzzling case is the number 108 in B flat major. Despite the high number, it is an early composition. All four movements are very short. The musically unremarkable material in the Allegro is hardly performed. At least the minuet brings out a pointed dotted figure, the trio captivates with the bassoon solo. The Andante is contemplative and subject to contrapuntal treatment. The parallel tenths make for a remarkable sound.
With this already 27th recording in the series, the Heidelberg Symphony Orchestra and its conductor Johannes Klumpp continue to show through the Sturm und Drang works of Haydn. Their approach is in keeping with this, in which they tread this path together full of verve and dynamism. They succeed in teasing out facets and details from the early works. They do justice to the dynamics of the fast movements with fresh access as well as to the rhetorically formulated slow passages. The stormy and urgent playing is particularly well suited to these works.
musicweb-international, Michael Cookson
Johannes Klumpp and the Heidelberger Sinfoniker make a strong case for these early symphonies.
Ich freue mich, Band 26 des geplanten Zyklus vollständiger Haydn-Sinfonien der Heidelberger Sinfoniker unter Johannes Klumpp begrüßen zu dürfen.[…].
Unter Johannes Klumpp haben die Heidelberger Sinfoniker, die als «einer der Weltkenner der Wiener Klassik» bezeichnet werden, die Reihe neu gestartet. Erst im vergangenen Monat habe ich Band 25 besprochen, das erste Album der Haydn-Reihe unter der Leitung von Klumpp […].
Der preisgekrönte Dirigent Klumpp[…], wie sein Vorgänger Thomas Fey, der diesen Haydn-Zyklus 1999 begann, ist ein Spezialist für historisch informierte Aufführungspraxis, die er mit seinen individuellen Instinkten verbindet. […].
Unter Klumpp zeigen die kammergroßen Heidelberger Sinfoniker eine ausgeprägte Wachsamkeit in Darstellungen, die sich hell, gewinnend und fokussiert anfühlen. Das Orchester besteht aus 21 Spielern: einer dreizehnköpfigen Streichergruppe, drei modernen Holzbläsern, vier historischen Blechbläsern und Pauken.
Für mich beinhaltet dieses Album den Überschwang, den Klumpp dem Eröffnungssatz Allegro der Symphonie Nr. 107 B-Dur und dem zweiten Satz Allegro der Symphonie Nr. 11 Es-Dur verleiht, der vor Energie geradezu aufbricht und eine überzeugend windgepeitschte Qualität erzeugt. Der substanzielle dritte Satz der Symphonie Nr. 32 C-Dur, Allegro ma non troppo, dauert über sieben Minuten; Klumpp erzeugt einen Anflug von Melancholie, während sein Gesamtcharakter vital ansprechend bleibt. In seinen Notizen weist Klumpp auf den Abschnitt bei 5:45-5:56 hin, der farbenfroh ist und ein etwas gewichtigeres Spiel einläutet. Besonders auffällig ist der Anfangssatz der Symphonie Nr. 15 in D-Dur mit der Bezeichnung Adagio – Allegro – Adagio. In den Außenteilen des Adagio-Satzes, die eine kräftige Presto-Passage bei 2,06-4:14 umrahmt, bewahren die Spieler eine unwiderstehliche Haltung und Eleganz.
Insgesamt spielen die Heidelberger Sinfoniker mit einer erhebenden Lebendigkeit, der Klang ihrer Instrumente harmoniert gut und erzeugt klare, farbenfrohe Texturen.
Pizzicato, Remy Franck
Eine CD voller Sturm und Drang: Johannes Klumpp dirigiert frühe Symphonien von Joseph Haydn, denn auch die mit der Nummer 107 komponierte Haydn bereits um 1760/61.
Die 26. Folge dieser Haydn-Reihe fügt sich nahtlos an die vorangegangenen Editionen an. Mit historischer Aufführungspraxis klingen die mit weniger als 20 Minuten relativ kurzen Symphonien kernig und brillant im Klang.
Klumpp rast freilich nicht durch die Werke hindurch, sondern dirigiert durchaus rhetorisch, und die Interpretationen sind durch die Kraft der der Musik innewohnenden Dramatik durchaus beachtenswert.
Die Heidelberger Symphoniker spielen wieder einmal hervorragend, zupackend und spritzig.
Rondo, Mario Felix Vogt
Seit über 20 Jahren arbeiten die Heidelberger Sinfoniker auf der Basis historisch informierter Aufführungspraxis an einer Gesamtaufnahme von Joseph Haydns 108 Sinfonien.[…]. Seit 2020 setzt Johannes Klumpp als neuer Künstlerischer Leiter des Orchesters die Haydn-Einspielungen fort. Auf ihrer aktuellen CD widmen sich die Heidelberger vier frühen Sinfonien, die alle aus den Jahren 1760/61 stammen, dabei ist die Sinfonie Nr. 15 bereits in der Funktion von Haydn als erstem Kapellmeister des Fürsten Esterházy entstanden. Auch hier agiert das Orchester aus der Neckarstadt voller Temperament und Frische und wunderbar spritzig, da wirken andere Klangkörper (zum Beispiel das sehr betulich aufspielende Toronto Chamber Orchestra) ein wenig wie unter Valium-Einfluss stehend: wer etwa den dritten Satz der viel zu selten gespielten Nr. 107 beider Ensembles im Vergleich hört, der meint, zwei völlig verschiedene Stücke zu erleben. Dennoch bleiben die Heidelberger in den langsamen Sätzen nicht an der Oberfläche, wie die klanglich fein differenzierte Gestaltung der langsamen Einleitung der Sinfonie Nr. 15 zeigt, die mit viel Sinn für das melodische Geschehen interpretiert wird. Somit bleiben die Heidelberger Sinfoniker bei Haydn weiterhin auf der bewährten Spur.
Klassik Heute, Rainer W. Janka, 13.10.2021
Haydn war nicht der Erfinder der Gattung Sinfonie, konstatiert Michael Walter in seiner Monografie über Haydns Sinfonien, wohl aber „der Erfinder dessen, was die Sinfonie im 18. Jahrhundert geworden ist[...]. Ihm beim Werden und Avancieren der Gattung Sinfonie dabei zuzuhören, ist immer ein musikalisches Vergnügen und ein veritabler Gewinn.
Vergnügen und Gewinn hat man auch beim Anhören dieser CD mit frühen Haydn-Sinfonien, die der Gesamtaufnahme aller Sinfonien, gespielt von den Heidelberger Sinfonikern, noch fehlen.
Großes Vergnügen hat man schon bei der Lektüre des Booklets: Da stellt Johannes Klumpp, seit kurzem Nachfolger von Thomas Fey am Pult der Heidelberger Sinfoniker, die gespielten Sonaten so herzerfrischend sympathisch, so wortgewandt und wortverliebt, so treffgenau in Beschreibung und Vergleich vor, dass man sofort nachhören will, ob das alles so zutrifft – oder dass man schon die Beschreibung fürs Hören nimmt. „1000-Volt-Musik“, „Groove“ und „schlitternde Triolen“ entdeckt er da in der Sinfonie Nr. 18, „kontrollierten Kontrollverlust“ im Kettenrondo der Sinfonie Nr. 2, „bohrende Düsternis“ in der Sinfonie Nr. 17 und „eine Canzonetta eines Liebenden unter dem Balkon der Geliebten“, einen das Hauptelement bildenden „Schluckauf“ und gar „Eselsschreie“ in der Sinfonie Nr. 20.
Und so vergnüglich frisch, so sprudelnd und liebevoll genau, so funkelnd und strömend, so zärtlich und spritzig spielen die Musiker auch. Hochbeschwingte und fast swingende Freude herrscht da, Freude am glänzenden, höfischen Klang und auch am geglückten passgenauen Zusammenspiel[...]. Feine vibratolose Violin-Klanggespinste entstehen da, wenn Blechbläser dazukommen, fügen sie sich bei allem heiteren Geschmetter organisch ein. So wird jede dieser Sinfonien, die vermutlich alle in der Zeit komponiert wurden, als Haydn 1757 bis 1761 beim Grafen Morzin auf Schloss Dolní Lukavice nahe Pilsen angestellt war, zu einem blankgeschliffenen musikalischen Edelstein.
Aufgenommen wurden diese Sinfonien des „Komponisten der Sonne“ (so schwärmt wiederum Johannes Klumpp) im Palatin Wiesloch, einem modernen Konzertsaal. Aber dem Rezensenten ist dieser wiewohl sehr genau abbildende Saal etwas zu nüchtern für diese musikalischen Kleinodien: ein wenig höfischer Glanz wäre schöner gewesen.
Matthias, Roth, Rhein-Neckar Zeitung, 16. September 2021
Das neue Gesicht der Heidelberger Sinfoniker
Das neue Gesicht der Heidelberger Sinfoniker heißt Johannes Klumpp, das macht nun auch die 25. CD-Einspielung in der Haydn-Reihe klar[..]. Dieser führt die Idee Feys fort, Haydns Werke neu zu sehen. Das hat freilich auch schon einen Bart - denn die historische Aufführungspraxis zählt nun auch schon einige Jahre. Dennoch unterschied sich der Musizierstil der Sinfoniker von Anfang an auch davon: Fey vertraute auf teils „moderne“ Instrumente und Stimmung, wollte aber die Blechbläser (Hörner, Trompeten) und Pauken gern naturbelassen, also ohne Ventile und mit harten Schlägeln, eher „militärisch“ als sinfonisch.
An diese Grundprinzipien der Heidelberger Interpretation hält sich nun auch Johannes Klumpp[..]. Aber auch andere Spezialitäten der Sinfoniker sind durchaus wiedererkennbar. Klumpp also ist einer, der Tradition ernst nimmt, auch solche, die noch nicht allzu alt ist. Die Sinfoniker aus Heidelberg bleiben daher wiedererkennbar, in ihrem Sound, in der Klangsprache, in der Interpretation.[…]
Das Orchester hat sich mit kleiner Besetzung (vier Erste und vier Zweite Geigen) auch personell wenig verändert - und auch stilistisch ist nicht so vieles anders geworden, obwohl (oder weil?) der Konzertmeister Benjamin Spillner die Leitung in der Zwischenzeit (auch für zwei dirigentenlos produzierte CDs) übernommen hatte: Die Orchestertradition also wurde weitergetragen.
Klumpp, den die Sinfoniker als Gastdirigenten lange kannten, bevor sie ihn als neuen Chef engagierten, greift diese auf: Er weiß, der „Sinfoniker-Sound“ aus Heidelberg ist ein international vermarktetes Kapital, das man nicht aus den Händen geben sollte. Für Haydn allemal:
Die erste CD mit Haydn-Sinfonien bei Hänssler erschien 1999 und schlug ein wie eine Bombe. Dieser „Haydn ohne Zopf“, wie Fey ihn fröhlich propagierte, fand zwar nicht jedermanns Zustimmung (denn Haydn habe seinen Perücken-Zopf durchaus mit Selbstbewusstsein getragen), aber anerkennend war das Echo allemal. Nicht zuletzt zeigten diese Aufnahmen, dass diese über 200 Jahre alte Musik auch auf „modernen“ Instrumenten ansprechend gespielt werden konnte.
Nun also setzen die Heidelberger ihre Sinfonie-Serie vielleicht nicht ganz so aufgekratzt fort, wie Fey das liebte, aber Klumpps eher gerundete Klangvorstellung widerspricht der alten Idee grundsätzlich nicht. Mit den Sinfonien Nr. 2, 17, 18, 19 und 20 folgt man der Chronologie auf zwischen Nr. 1, den „Tageszeiten“-Sinfonien und anderen Werken der Frühphase.[…] Die Chronologie der Haydn-Sinfonien nach der Entstehung entspricht längst nicht mehr den Nummerierungen durch Anthony van Hoboken, und so zählen diese Werke heute zur frühesten Epoche bis 1760/61 - also des noch nicht 30- jährigen Komponisten.
Entsprechend experimentierfreudig erscheinen sie heute: In der Form noch nicht fest gefügt, in der Satzfolge noch frei, so erscheinen die ersten Sinfonien aus Haydns Feder, die sich an italienischen und Mannheimer Vorbildern orientierten. Dreisätzig sind sie alle, und Nr. 18 (in der Chronologie Nr. 3) beginnt mit einem gefühlvollen Andante und endet mit einem Menuett (dessen Trio Klumpp mit Violin-Schleifern, kleinen Glissandi ausschmücken lässt). Dazwischen zieht ein rasches Allegro molto (Klumpp interpretiert es als „Presto“) die ganze Aufmerksamkeit auf sich.
Eine bemerkenswerte Einspielung, die die Reihe würdig fortsetzt, in der etwas mehr als die Hälfte der insgesamt 110 Werke bereits vorliegen.