Konzertkritiken
Gleich zwei Dreißiger musikalisch gefeiert
Die Heidelberger Sinfoniker feierten im Königssaal des Schlosses ihr 30-jähriges Bestehen -Als Solist brillierte der Trompeter Simon Höfele an seinem Geburtstag
Mit ihnen bringt man automatisch Haydn in Verbindung. Dabei haben die Heidelberger Sinfoniker noch weitere Steckenpferde wie Antonio Salieri oder Mendelssohn Bartholdy. […]. Mit diesen drei Komponisten wurde nun ihr Dreißigjähriges gefeiert. Festlichen Charakter erhielt dieses Jubiläumskonzert durch den Königssaal des Heidelberger Schlosses sowie viel Prominenz aus Kommunalpolitik, Sponsoren und Kulturschaffenden. Das i-Tüpfelchen setzte Solist Simon Höfele auf, einer der erfolgreichsten Trompeter der jungen Generation.
Eröffnet wurde der Abend passend mit der Ouvertüre aus Salieris „Catilina". Dirigent Johannes Klump fegte sofort mit packender Dramatik und feurigem Aktionismus durch die Musik, worauf dieSinfoniker mit irrsinnigem Spieltrieb antworteten. Gleichzeitig bewiesen sie Feingefühl für beschauliche Holz-Soli, bevor der nächste Orkan über die Notenpulte brauste. Diese Ouvertüre lebt von harschen Szenenwechseln, Theatralik und purer Festtagsstimmung.
Noch mehr Feierlaune sprudelte aus Haydns Trompetenkonzert Es-Dur, und das nicht nur im Orchester.Höfele feierte an diesem Tag nämlich seinen 30. Geburtstag. Begeistert hat er nicht nur mit leichtfüßiger Virtuosität, die samtig angestoßene Töne frohgestimmt in den Saal warf, sondern ebenso mit geschmeidiger Melodiegestaltung. Ein derart warmer und mitteilsamer Klang ist außergewöhnlich. Bravourös wusste der Darmstädter das komplette Spektrum seines Instruments zu präsentieren […]. Einen Höhepunkt lieferte die Kadenz, die eine Schatzkiste an klanglichen Finessen öffnete. Nach dem lieblichen Wiegerhythmus des Andantes lief Höfeles Virtuosität im Finale auf Hochtouren auf, die aber nie Anstrengung spüren ließ, sondern den Geist von Freiheit und Lebensfreude atmete. In die Moderne hüpfte Höfele mit Witz und Körpereinsatz für die Zugabe: HK Grubers "Exposed Throat". Die Sinfoniker brillierten bei alledem als kongeniale Begleiter und hielten sich mit ihrem eigenen (sehr individuellen) Musizierstil keineswegs zurück.
Derartig selbst organisierte Orchester findet man schließlich nicht oft, wie Klumpp als altbewährter Moderator betonte. In locker-flockiger Art erläuterte er zudem die musikalischen Inhalte der Werke, was ihm bei Mendelsohns 4. Sinfonie besonders bildhaft gelang.
Diese Vorstellungswelten konnte man gleich im Allegro gut nachempfinden. Mit harten Gegensätzen und sonniger Ausgelassenheit erklang die „Italienische" ungemein kurzweilig. Mitreißend war besonders der musikalische Fluss, in dem große Vitalität und Unternehmungslust steckten. Auf abgeschiedene Pfade begaben sie sich im Andante, herzerwärmende Romantik versprach das Con moto, die allerdings nicht überstrapaziert wurde, da die Musiker gern ihren persönlichen Gedanken nachhingen. Mit Vollgas und ordentlich Drive stürmten sie in den Schlusssatz, der genauso kompromisslose Hingabe offenlegte wie ihre Stamm-Zugabe: Mozarts Figaro-Ouvertüre, wo Klumpp gar zum Schauspieler mutierte.
Der musikalische Wille dieses Orchesters kennt wahrlich keine Grenzen.
Rhein-Neckar-Zeitung, 21. Mai 2024, Simon Scherer
Närrisches Konzert nach Feinschmeckerart
Mannheimer Morgen, 14. Februar 2024, Uwe Rauschelbach
Aus einem Lokschuppen wird ein Kulturzentrum: So die Vision der Projektentwickler für das ehemalige Heidelberger Bahnbetriebswerk. Musik, Ausstellungen und Tanz sollen die Ziegelsteinhallen mit neuem Leben füllen. Die Heidelberger Sinfoniker sind daran beteiligt […]. . In ihren Cosy-Konzerten, die im vorigen Jahr Premiere hatten, wollen die Musiker ihr Publikum mit dem neuen Domizilvertraut machen. So auch bei der zweiten Auflage unter fasnachtlichen Vorzeichen.
Moderiert von Klarinettist Matthias Ritter und Bassist Michael Neuhaus, zeigten sich die Musikwerke aus Barock und Wiener Klassik im ausgedienten Betriebswerk durchaus von ihrer närrischen Seite. Antonio Vivaldis Concerto grosso in C-Dur entfaltete im Spiel des solistisch besetzten Streicherquintetts der Heidelberger Sinfoniker eine unmittelbare Ansprache. Moritz Ter-Nedden und Petra Wolff (Violinen), Yuichi Yazaki (Viola), Jutta Neuhaus (Cello) und Michael Neuhaus (Kontrabass) rückten dem Venezianer mit einem herben, unverzärtelten Barockklang auf den Leib, der aber nicht nur die ruppigen Seiten dieser Musik zum Vorschein brachte, sondern auch die lyrischen Anteile würdigte.
Francesco Geminianis Concerto Grosso in d-Moll, im Zusatz „La Follia“ genannt, löste das Versprechen Matthias Ritters ein, als ausgelassene, geradezu rauschhafte Musik zu wirken. […]
Mit der Kochmütze auf dem Kopf leitete der zum Scherzen bestens aufgelegte Michael Neuhaus zu einem Zwischenspiel über, das der Bassist mit seiner Duopartnerin und Ehefrau Jutta Neuhaus am Cello bestritt. Die Anspielung auf jene Tournedos Rossini, mit der Neuhaus die klassische Zubereitung eines Filetsteaks schilderte, hob kulinarische wie ästhetische Genüsse nach Feinschmeckerart auf eine Stufe – wobei die seltene Besetzung durchaus von der Absicht charakterisiert schien, den Bassisten mit technischen Herausforderungen zu konfrontieren. Vor 200 Jahren komponiert, erwies sich das Duett in der Tat als eine schelmische Prüfung mit raschen Läufen und zahlreichen Trillern, die Michael Neuhaus mit verschmitzter Noblesse bestand. So gelang es ihm, seinem großen Instrument eine gewisse Leichtfüßigkeit zu verleihen und seine Partnerin am Cello auch noch glänzen zu lassen.
Auch eine Büttenrede wurde bei diesem närrischen Konzert gehalten: Neuhaus brachte dabei Orchester-Interna auf liebevoll-ironische Art zur Sprache, die von Mozarts „Dorfmusikanten-Sextett“, einem Divertimento in F-Dur (KV 522), freilich noch übertroffen wurde. Mozart parodiert darin die hilflosen Versuche dilettierender Komponistenkollegen, nötigt den Aufführenden aber durchaus virtuose Fähigkeiten ab. Um zwei Hörner – Thorsten Hagedorn und Christoph Thelen – bereichert, hatte dieser musikalische Spaß die gewünschte Wirkung. Mozarts sardonisches Spiel mit harmonischen Sackgassen, melodischen Trivialitäten, schiefen Tönen und Klischees wurde von den Kammermusikern mit eifrigem Aplomb in Szene gesetzt. Nur die dissonante Schlusskadenz schmerzte – aber wirklich nur ein bisschen.
Prickelnde Zeitreise in festlichem Ambiente
Die Heidelberger Sinfoniker beweisen bei ihrem Neujahrskonzert im Schwetzinger Rokokotheater, dass sie sich nicht nur in der Wiener Klassik wohlfühlen. […] Stets mit gelungenen Programmen, was diesmal bei den beiden Konzerten im Wieslocher Palatin und im Schwetzinger Rokokotheater nicht anders aussah. Strauss-Walzer gab es erst am Schluss, zuvor wurde von Händel über Mozart bis Beethoven ein fantastischer Zeitbogen gespannt, bei dem Haydn nicht fehlen durfte. Er ist schließlich der Hauskomponist des Orchesters, das dieses Jahr seinen 30. Geburtstag feiert. Im Finale aus dessen 53. Sinfonie war entsprechend in jedem Takt profundes Haydn-Verständnis herauszuhören. Los ging es mit Georg Friedrich Händel, dessen Ouvertüre zu „Parnasso in festa“ der perfekte Einstieg war: Festlich, frohgestimmt und ausgelassen – so soll ein neues Jahr beginnen. Dirigent Michael Hofstetter ließ die Musik mit pointierten Akzenten und Wellenrhythmen wunderbar spritzig daherkommen. In ähnlicher Manier sang Shira Patchornik Händels „Scherza in mar“. Ihre flinke Melodieführung, federleichte Höhen, sensibles Epochengespür und Klangschönheit zogen ein ausverkauftes Rokokotheater sofort in ihren Bann. Ebenso in Mozarts „Exsultate, Jubilate“, das mit klug eingesetztem Stimmpotenzial sehr vielgestaltig ausgeformt wurde. Faszinierend war außerdem ihre Wandlungsfähigkeit, als sie in Antonio Salieris „Ah sia già“ tief in die Rolle der Contessa schlüpfte und die Zuhörer an ihrem Innenleben teilhaben ließ. Die dritte Person vor dem Orchester war Eva Schramm als Moderatorin […]. Das bescherte einen festlicheren Rahmen und sorgte mit locker-flockigen Anekdoten für informative Kurzweile. Durch Schramms Interviews mit dem Dirigenten und Orchestermitgliedern entstanden zudem überraschend persönliche Gespräche, was dem Ganzen eine sehr familiäre Atmosphäre verlieh. Weitere Sinfonik bot der in Buchen geborene Joseph Martin Kraus, dessen Kantate „Zum Geburtstage des Königs“ an Mozart erinnerte, der wie Kraus 1756 geboren wurde. Ein hörenswertes Stück mit anrührender Lieblichkeit und mitreißenden Steigerungswogen. Sinfonisch ging es nach der Pause weiter mit dem Finale aus Beethovens „Geschöpfen des Prometheus“, musiziert mit viel Liebe zum Detail und Entschlossenheit. Und dann folgte der erste Strauss (Blumenfest-Polka op. 111), der nicht nur zum Musizierstil des Orchesters passte, sondern auch ins Ambiente des schmucken Rokokotheaters. Luigi Arditi schrieb gar einen Walzer übers Küssen („Il bacio“), der nochmals Patchornik einen großen Auftritt mit exzellenter Gesangsdynamik bot. Maximales Neujahrsfeeling boten zuletzt der Accelerationen-Walzer und als Zugabe selbstverständlich der Radetzky-Marsch. Klanglich kam das der damaligen Strauss-Kapelle sogar deutlich näher als bei der „Wiener Konkurrenzveranstaltung“, da moderne Sinfonieorchester heute deutlich größer besetzt sind als die Sinfoniker. Und welches Neujahrskonzert wird schon mit „Guten Abend, gute Nacht“ inklusive Publikumsgesang beschlossen?
Rhein-Neckarzeitung, 4. Januar 2024, Simon Scherer
Kleines und Feines zum Nikolaus
[…] „Fühlen Sie sich bitte gemütlich!“ Mit diesen Worten eröffnet Johannes Klumpp den Nikolausabend im Heidelberger Betriebswerk. Lichterketten und Kerzenschein hüllen den Raum in warmes Licht, Ornamente und Strohsterne hängen von den Wänden, der Geruch von selbstgebackenen Keksen und Glühwein liegt in der Luft.
Das eigene Wohlbehagen soll beim „Cosy Concert“ der Heidelberger Sinfoniker in keinem Fall zu kurz kommen. Machen wir es uns also gemütlich. Denn neben der Musik steht das Zusammenkommen im Vordergrund. Dafür wird das Programm von Pausen unterbrochen, um in entspannter Atmosphäre bei Punsch miteinander und mit dem Ensemble ins Gespräch zu kommen.
Um es beschaulich zu halten, spielen die Sinfoniker in kleiner Besetzung – mit sieben Streichinstrumenten und einem Cembalo, wobei sich Orchesterwerke und Stücke für Solo-Cembalo abwechseln. Durch die Intimität des kleinen Raumes ist man den Instrumenten nah. Die Musik geht nicht nur in die Ohren, sondern durch den ganzen Körper, besonders der Kontrabass.
Die Weihnachtsstimmung wird regelrecht in die Zuhörer hineininjiziert. […]. Das Programm ist vergleichsweise kurz, durch die Unterbrechungen wird es über den ganzen Abend verteilt, sodass alle Werke für sich selbst wirken können und nicht ineinander übergehen.
Johannes Klumpp leitet die Stücke mit ergänzenden Worten für das Publikum ein. […]. Interessantester Programmpunkt des Abends ist das auch als Weihnachtskonzert bekannte Concerto grosso in g-Moll von Arcangelo Corelli (1653-1713), eine schwerere und sorgenvollere musikalische Version der Weihnachtsgeschichte. Peter Kranefoed zeigt am Cembalo zudem mit drei Choralbearbeitungen Bachs von „Vom Himmel hoch“ sein Können.[…]. Ein Highlight ist außerdem Antonio Vivaldis „Winter“ aus den „Vier Jahreszeiten“ am Ende des Abends. Hier behauptet sich Benjamin Spillner als Soloviolinist und zieht das Publikum mit seinem leidenschaftlichen Spiel in den Bann.
Dieser musikalische Adventsgenuss zum Nikolaus war das erste Cosy Concert der Sinfoniker, weitere besinnliche Begegnungen sollen folgen.
Rhein-Neckar Zeitung, 8. Dezember 2023, Leonie Krause
Überzeugende Farbenpracht der Musik
Heidelberger Sinfoniker feiern den Herbst
Obwohl das Scherzo vivace der 2. Serenade von Johannes Brahms verklungen ist, hallt der Abschlussakkord noch durch die Christuskirche und setzt sich in den Ohren des Publikums fest. Es erfüllt den Raum mit Freude an der Musik.
Um den tristen Regentagen Paroli zu bieten, laden die Heidelberger Sinfoniker zu ihrem Konzert „Herbstgesang“ ein.
Dabei setzen sie auf tiefe Romantik und verschränken in ihrem Programm die 2. Serenade von Brahms mit Liedern von Franz Schubert, die für Orchester arrangiert wurden. Dadurch entstehen ganze Welten aus Klängen, in die man eintauchen kann. Alle Stücke setzten musikalisch auf dunkle Klangfarben in den Instrumenten, stellen Holzblasinstrumente sowie Bratschen, Celli und Kontrabässen in den Vordergrund, wodurch die Musik eine sehr weiche und warme Farbe bekommt und wahrhaftig als Herbstgesang interpretiert werden kann. […]
Den Gesangspart von Schuberts Liedern übernimmt die mehrfach ausgezeichnete MezzosopranistinEsther Valentin-Fieguth. Sie singt jedes Lied mit unglaublicher Zugewandtheit zum Publikum, versetzt sich dabei mühelos in jede Stimmungslage hinein, auch in ihrer Mimik. […]. Durch dieses Ausdrucksspektrum wird sie zum emotionalen Mittelpunkt des Konzerts. […]
Johannes Klumpp nutze die Aufbrechung der Serenade als Chance, zwischen den Sätzen dem Publikum die Romantik als Epoche und Johannes Brahms etwas näher zu bringen.
Einen romantischen Klassiker erlebt das Publikum zum Ende des Konzertes: Schuberts „Erlkönig“. Dabei wirken besonders die feinen Wechsel zwischen den lauten Pauken und den hellen, leichten Querflöten eindrucksvoll. So kontrastiert die Gewalt der Situation mit den süßen Versprechen des Erlkönigs. Esther Valentin-Fieguth schafft es auch hier mit Leichtigkeit, allen drei Sprechrollen der Ballade gerecht zu werden.
Nach dieser hervorragenden Gesamtdarbietung ist die Zugabe nur verdient. […]
Rhein-Neckar-Zeitung, 20. November 2023, Leonie Krause
Was für ein Haydn-Spaß!
Heidelberger Sinfoniker brachten Kindern den Komponisten nahe
Jubelnde Kinder und klassische Musik– geht das? Ja, sagt Johannes Klumpp, Chefdirigent der Heidelberger Sinfoniker. „Joseph Haydn war nicht nur einer der berühmtesten Komponisten, sondern auch einer der erfindungsreichsten, humorvollsten und sympathischsten. Wer würde sich also besser eignen, um mal die Nase in die Welt der klassischen Musik zu stecken?“
[...] Im Rahmen des Festivals „Explore Haydn“ veranstalteten die Heidelberger Sinfoniker am Samstag und Sonntag zwei Familienkonzerte für Kinder zwischen fünf und elf Jahren [...].
Gespielt wurden – in herausragender Weise – Teile der Symphonie No. 80 und 81, jedoch mit einem besonderen Twist. Johannes Klumpp dirigierte nicht nur virtuos, sondern nahm die Kinder mit auf eine kleine Zeitreise in das Jahr 1784. [...].
Die Kinder in der Musikschule hörten eine bunte Musik-Geschichte über idyllische Bergseen, schöne Feen und ruppige Gnome. Auf humorvolle Weise gab Klumpp zudem einen Einblick in die Musiktheorie: Anhand von „Alle meine Entchen“ erklärt er, wie eine Terz funktioniert. Immer wieder sah man kleine Klassikfans vor Begeisterung aufspringen; vor allem das tongewaltige Ende der 81. Symphonie fand Anklang. Delia (10) sagte: „Mir gefällt es am besten, wenn die Musik ganz laut und schnell ist, so wie am Ende. Das finde ich cool.“ Auch Niklas (6) fand die Vorstellung super: „Ich mochte es am liebsten, wenn wir mitmachen konnten und raten, wie das Instrument heißt oder zusammen tanzen.“ [...].
Als Highlight durften die Kinder auf die Bühne, um selbst mit den Musikern zu sprechen und sich die Instrumente noch einmal ganz genau anzuschauen. „Wir würden jederzeit wiederkommen. Es ist super, wenn Kinder so locker an klassische Musik herangeführt werden. Vor allem, wenn sie selbst schon ein klassisches Instrument spielen" [...].
Wer die Heidelberger Sinfoniker live erleben möchte, hat unter anderem beim „Herbstgesang– Schubert und Brahms“ am 17. November in der Christuskirche oder bei dem „Adventsgenuss zum Nikolaus“ am 6. Dezember im Betriebswerk die Chance. Für Haydn-Fans gibt es alle 107 Sinfonien mittlerweile von den Heidelberger Sinfonikern auf CD eingespielt – und bald auch zum Streamen für zu Hause.
Rhein-Neckar-Zeitung, 12. Oktober 2023, J. Blank
Wie riecht das Jahr 1784?
Sinfonien von Haydn und eine Menge Geschichten: Die Heidelberger Sinfoniker luden zur Entdeckungsreise auf das Schloss ein
Was haben Vulkanausbrüche, Heißluftballons und Benjamin Franklin gemeinsam? Richtig, alle treffen beim Festival „Explore Haydn“ der Heidelberger Sinfoniker aufeinander. Hinter dem Titel „1784 – eine Haydn-Zeitreise“ verbirgt sich allerdings kaum ein klassisches Konzert, denn neben der Musik wird auch ein hintergründiges Rahmenprogramm geboten – mit allem, was man über das Jahr 1784 wissen sollte. Der Leiter und Dirigent des Orchesters Johannes Klumpp hat es sich zum Ziel gesetzt, dass das Publikum am Ende des Konzerts das Jahr 1784 „ein bisschen riechen“ kann.
Musikalisch stehen dabei Haydns Sinfonien aus diesem Jahr im Zentrum, es erklingen die 81. und die 80. Sinfonie. Den Sinfonikern ist dabei der Spaß bei jeder Note anzusehen, sie legen sich leidenschaftlich in die Werke hinein. Alle Regungen lassen sich auch in den Bewegungen der Musiker nachvollziehen [...].Dadurch zerfließen die Übergänge zwischen der Musik und den Musikern beim Zuschauer beinahe, Augen und Ohren erfassen ein stimmiges Gesamtbild.
Durch diese emotionale Darbietung kann sich das Publikum leicht in der Musik verlieren. Sie katapultiert ihre Hörer scheinbar aus dem Raum heraus, trägt sie mit Haydns Melodien davon. Zurück aus diesen Träumen holt Stefan Müller-Ruppert das Publikum mit seinen Geschichten. Er erzählt über Personen und vom Geist der Zeit. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine trockene Geschichtsstunde, obwohl die Recherchearbeit für den Text, den John Birke für das Konzert verfasst hat, beeindruckend und sehr detailreich ist.
In entspanntem Ambiente sitzt Müller-Ruppert neben der Bühne in einem bequemen Sessel mit Beistelltisch und dekorativer Lampe. Er berichtet mit viel Witz und Charme von den Geschehnissen des Jahres 1784 [...]. Positive und negative Ereignisse halten sich dabei die Waage. Zudem erzählt Müller-Ruppert Anekdoten aus Benjamin Franklins Leben in Paris – es ist nur eine von vielen Personen, denen das Publikum durch das Jahr folgt. Witzige Kommentare und Running Gags lockern das Erzählte auf und halten die Texte unterhaltsam und verdaulich, sodass das Publikum an jedem Wort hängt.
Auch die Sinfoniker halten sich nicht mit Amüsements zurück. Abrupt endende Passagen werden von Orchester und Dirigent humoristisch ausgespielt, indem die Pausen länger als gängig gehalten werden. Die Spielenden schauen dabei verwirrt drein, als müssten sie überlegen, was als nächstes folgt, bevor sie zur Wiederholung ansetzen.
Das Zusammenspiel des gesamten Konzertes schickt das Publikum gekonnt auf die Reise, die es versprochen hat. Es unterhält mit einer ansteckenden Leichtigkeit. Am Ende können wir das Jahr 1784 tatsächlich ein wenig riechen.
Rhein-Neckar-Zeitung, 11. Oktober 2023, Leonie Krause
Konzert der Heidelberger Sinfoniker zum neuen Jahr begeistert mit Qualität, Musikern, Solisten und Ausstrahlung
Mit einem Feuerwerk an Melodien, die alle unter dem Motto „La dolce vita“ standen, läuteten die Heidelberger Sinfoniker im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses das neue Jahr ein. Unter der Leitung von Josep Caballé Domenech präsentierte das Orchester die schönsten Werke von Mozart bis Strauß. Domenech hatte schon die berühmtesten Orchester mit seinem Dirigierstab angeführt und ist international unterwegs im Bereich Oper und Konzert. Sein ganzes Können offenbarte sich bereits in der Ouvertüre aus der Oper „Cosi fan tutte“, mit der das Orchester das Konzert eröffnete. Festlich und voller Elan, mit feinen und doch bestimmten Bewegungen vereinte er das Orchester zu einem Ganzen und balancierte mit Leichtigkeit die feinen Töne der Wiener Klassik.
Genau dort gesellte sich auch Kai Preußker mit auf die Reise. Der Bariton sang die Arie des Gugliemo „Rivolgete a lui lo sguardo“, die W. A. Mozart […] sollte er noch in andere Rollen schlüpfen, die alle verschiedene Facetten seiner reichen Stimme zum Vorschein brachten. Auf der Bühne ist er vor allem im Opernbereich zu Hause und übernahm zahlreiche Partien in bekannten Opernhäusern. […]
Ein weiterer Gast, der das Neujahrskonzert mit seiner charmanten Stimme begeisterte, war Eva Schramm, eine vertraute Stimme aus BR-Klassik und NDR Kultur. Als Sopranistin trat sie später mit unvergleichlich klarer Stimme im Duett mit Kai Preußker auf, im Verlauf des Konzerts bereicherte sie die Musik mit einer leichten und sehr sympathischen Moderation. […]
„Im italienischen Stil“ ging die Reise weiter bei Franz Schubert[…] und Felix Mendelssohn Bartholdy ( 1. Satz aus „Italienischer Sinfonie“).
Nach einem festlichen Auftakt war das Publikum eingeladen, in der Pause ein Glas Sekt zugenießen: […] Zitat Konzertbesucher: „Dadurch, dass in der letzten Zeit nicht so viel ohne Einschränkungen passiert ist, war es zusätzlich ein Aha-Effekt: von der Qualität, von den Musikern, von der Ausstrahlung der Sinfoniker. Das ist wirklich ein Erlebnis.“
Nach der Pause ging es im Programm weiter auf der Italienreise mit den Komponisten Gioacchino Rossini und Enrico Toselli. […] und mit „Marechiare“, vertont von Francesco Paolo Tosti. Ein Neujahrskonzert ohne einen Walzer wäre kaum vorstellbar und so lud das Orchester […] ein zu „Künstlerleben“ von Johann Strauß II.
Michael Neuhaus, Mangager der Heidelberger Sinfoniker, sieht den Auftakt in ein konzertreiches Jahr voller Musik und Lebenslust gelegt: „Die zwei Jahre Pandemie sind natürlich an keinem von uns spurlos vorübergegangen. Wir als Veranstalter bemerken das natürlich besonders. Wir freuen uns sehr über unser ausverkauftes Konzert hier in Schwetzingen, auch tags zuvor in Wiesloch war es sehr gut besucht und nehmen das nun einfach mal als Zeichen, dass das Publikum gerne auch wieder ins Konzert kommt und gerne wieder ins kulturelle Leben zurückkehrt.“ […]
Viktoria Linzer, Schwetzinger Zeitung, 4. Januar 2023
Johannes Brahms und seine idyllische Welt in Eppelheim
Das Konzert mit den Heidelberger Sinfonikern und der renommierten Pianistin Ragna Schirmer in der Rudolf-Wild-Halle erforderte von beiden nicht nur Virtuosität, sondern auch Sensibilität in der Interaktion. Und das gelang auf beachtliche Weise.
Mit dem Dirigenten Johannes Klumpp begrüßte das Publikum ein bekanntes Gesicht. Als künstlerischer Leiter hat er sich für seine ungewöhnlich stimmigen Programme seit geraumer Zeit einen Namen gemacht. Für das Konzert in Eppelheim stellte er eine Abfolge von zwei Stücken zusammen, die eine Fülle von Querbezügen offenbarte. Denn beide Werke, das Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 7 von Clara Schumann (1819-1896), und die Sinfonie Nr. 2 in D-Dur op. 73 von Johannes Brahms (1833-1897), stammen von Tonschöpfern, die eine innige Beziehung verband: Brahms liebte und verehrte die 14 Jahre ältere Clara Schumann zeitlebens.
Der Abend wurde mit diesem wunderbaren Stück von Clara Schumann eröffnet, in das Pianistin und Komponistin Ragna Schirmer einführte. Wie keine andere kennt sie Clara, die lange im Schatten ihres genialen Mannes Robert stand. Anlässlich von Clara Schumanns 200. Geburtstag 2019 förderte Schirmer Erstaunliches zutage […].
Clara Schumanns Klavierkonzert kennt Ragna Schirmer wie kaum eine andere, sie hat das Stück oft intoniert und eine phänomenale Einspielung veröffentlicht. In ihrem Spiel wusste sie jedes Detail und jede Ausformulierung zu gewichten. Nie wirkte es aufgesetzt, das Lyrische nie verzärtelt. Den Schwerpunkt legte Schirmer auf die musikalische Essenz, sodass dieses Konzert für Klavier und Orchester in ungewohnter Frische daherkam. Wunderbar zart und poetisch färbte sie den zweiten Satz, das große Solo für Klavier und Cello. Obwohl so unterschiedlich im Klang, verbanden sich beide Instrumente zu einer harmonischen Symbiose. Dass Ragna Schirmer technisch in bester Form war, ließ sich auch an den zwei Zugaben – eine Etüde von Chopin und ein Klavierstück von Clara Schumann – feststellen. Das Publikum war hingerissen.
Nach der Pause erzählte Dirigent Johannes Klumpp in seiner betont launigen Moderation einiges über Brahms zweite Sinfonie, deren Entstehung nur einen Sommer gedauert hat […]. Komponiert hat Brahms sie in der idyllischen Umgebung des Wörthersees. Der erste Satz klingt, als würde Brahms ausatmen und sich entspannt zurücklehnen. „Brahms ist ein großer Architekt, er nimmt sich ganz kurze Motive und baut daraus eine ganze Welt – diese Sinfonie hat man die Pastorale genannt, trotzdem liegt über allem ein Schatten, es ist, als ob es die Erinnerung an eine Idylle wäre“ so Klumpp.
Es ist kein moderner Brahms, den er hier vorführt, er lässt die Komposition so erklingen, wie sie gedacht war: voller Romantik, Sehnsucht und pastoser Schwere. Klumpp nimmt sich Zeit für geschmackvolle Rubati, für schwelgerische Momente wie im herrlichen Adagio non troppo. Mit großer Sensibilität folgt ihm das Orchester, das sowohl romantische Wärme als auch sinfonische Wucht entfaltet, wo immer es das Stück erfordert. Der langanhaltende Jubel war so groß, dass die Sinfoniker den Abend mit dem berühmten Ungarischen Tanz Nr. 5 von Brahms als Zugabe beendeten
Maria Herlo, Schwetzinger Zeitung, 19.11.2022
[...] Die Heidelberger Sinfoniker hatten nun für ihr Abschlusskonzert des[nbsp]Festivals "Explore Haydn" mit dem Königssaal ebenfalls ein Schloss als Spielstätte.
Den Abend eröffneten sie mit ebenjener Ouvertüre zu Haydns Oper "Orlando Paladino" [...]. Im Mittelpunkt des Abends stand natürlich Haydn, Hauskomponist der Sinfoniker. Mit ihm haben die Musiker am meisten zu sagen, was man gleich in der Ouvertüre merkte: Voller Tatendrang und mit verschmitztem Beiklang kitzelte das Ensemble eine Vielzahl an Farben und Schattierungen aus der Musik, die dank ihrer vitalen Leichtigkeit unmittelbar beim Hörer ankam. In überschaubarer Besetzung gelang hervorragend der Spagat zwischen üppigem Orchestersound und kammermusikalischen Einsprengseln.
Noch eindrucksvoller war die Interpretationsarbeit in Haydns 78. Sinfonie. Mit viel Akribie und Gestaltungswillen durchforsteten Johannes Klumpp und die Sinfoniker dieses c-Moll-Werk. Sie schlugen dabei immer neue Wege ein, die ganz eigene Welten entstehen ließen. Jedes Motiv erzählte seine Geschichte, was in der Summe ein überaus vielschichtiges und reichhaltiges Gesamtkonstrukt ergab. Durch die kurzweilige und pointierte Musizierweise blieb man als Hörer permanent nah und aktiv am musikalischen Geschehen. Diesen Haydn muss man erstmal nachmachen!
Vokale Bereicherung gab es durch Simona Šaturová, die sich Haydns Angelica-Arie "Aure chete" mit sehr kultivierter Stimmgebung annahm. Wohl durchdacht setzte sie ganz gezielt ihre dynamischen Mittel ein, wodurch auch filigrane Dialoge mit den Geigen hörbar wurden. Schon lange vor Bizet landete Giovanni Paisiello mit seinem "Barbiere di Siviglia" einen Hit, dessen Ouvertüre mit scharfen Tempi und knallharten Zuspitzungen äußerst spritzig daherkam. Von der Rosina-Arie "Giusto ciel" servierte Šaturová in Begleitung betörender Klarinetten eine geradezu herzzerreißende Version. Den größten Jubel erhielt die Sopranistin schließlich für ihre famose Virtuosität in den Höhen von Mozarts Constanze-Arie "Martern aller Arten" aus der "Entführung aus dem Serail". [...]
Simon Scherer, Rhein-Neckar-Zeitung, 11.10.2022
Und wo wohnt Gott?
Als Astronom berühmt, als Sinfoniker vergessen: Ein Abend zum Uranus-Entdecker Wilhelm Herschel beim „Frühling“.
Und wie ich dann 40 war, war’s aus“, schrieb Thomas Bernhard, und James Joyce nahm sich vor, bis zu seinem 40. Geburtstag seinen „Ulysses“-Roman zu publizieren. Anders der Komponist und Musiker Friedrich Wilhelm Herschel, der trotz solider Stellung und guten Erfolgsaussichten in der Londoner Musikszene mit etwa 40 Jahren damit begann, ein ganz anderes Arbeitsfeld zu erkunden: das der Astronomie. Berühmt geworden ist er schließlich als Entdecker des später Uranus genannten siebten Planeten unseres Sonnensystems (März 1781).
Ein Abend im Rahmen der Heidelberger Frühlings machte mit dem Künstler und Wissenschaftler bekannt und gab Gelegenheit, auch einmal Musik des Haydn-Zeitgenossen zu hören. Denn als Musiker ist Herschel nahezu vergessen.
Er wuchs in Hannover als Sohn eines Militärmusikers auf. Musik war in der kinderreichen Familie dauerpräsent, die Laufbahn als Musiker vorgezeichnet [...]
Früh war Wilhelm in die Kapelle seines Vaters integriert, und er begann zu komponieren: Das Konzert für Viola und Streicher, das die französisch-ägyptische Solistin Sindy Mohammed und die Heidelberger Sinfoniker unter der Leitung von Johannes Klumpp in der Neuen Aula spielten, schrieb er mit 21. Vor allem der Mittelsatz zeugt von melodiöser Einfühlsamkeit, während die Rahmensätze Vogelmotive imitieren.
[…] Als der Siebenjährige Krieg ausbrach, wurde Herschels Regiment zeitweise nach London verlegt, wo er später als Organist und Komponist arbeitete.
Der Heidelberger Astronom Markus Nielbock schilderte die Ereignisse in einem frei gehaltenen Vortrag mit zahlreichen Anekdoten. In England begann Herschel, sich intensiv mit der Astronomie zu beschäftigen. Vor allem fing er an, Spiegelteleskope zu bauen, da ihm zeitgenössische Geräte nicht zweckdienlich schienen. So schliff er neben seiner musikalischen Tätigkeit als Organist, Lehrer und Dirigent (etwa des Händelschen „Messias“) zum Teil sehr große Metallspiegel (Durchmesser 1,26 Meter!) und beobachtete damit, zusammen mit seiner Schwester Caroline, den Nachthimmel.
Die Entdeckung des Uranus setzte die Welt schließlich in Staunen, weil unser Sonnensystem dadurch mit einem Schlag mehr als doppelt so groß wie bisher angenommen erschien, und dieses hatte seit der Bestimmung der wahren Entfernung zwischen Sonne und Erde in den 1760er Jahren auch bis zum äußersten der bis dahin bekannten Planeten, Saturn, schon gewaltige Ausmaße. […].
Herschel war als Astronom genauso begabt wie als Komponist: 24 Sinfonien, 14 Solokonzerte und zahlreiche Kammermusik- und Orgelwerke stehen neben Untersuchungen zu Nebeln und Sternhaufen oder der Entdeckung der Infrarotstrahlung.
Drei Sinfonien führten die Sinfoniker in diesem vom SWR aufgezeichneten Konzert auf, und diese bewiesen das breite Spektrum des musikalischen Ausdrucks zwischen Empfindsamkeit und Frühklassik, Mannheimer Schule und dem italienischen Stil Johann Christian Bachs […]. Ein interessanter Abend zwischen Tönen und Sternen, der viel Beifall erhielt.
Matthias Roth, Rhein-Neckar-Zeitung, 31.3. 2022
Beethovens Zehnte
Robert Schumann kündigte 1853 in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ den gerade einmal 20-jährigen Johannes Brahms als denjenigen an, der Beethovens symphonisches Werk kongenial weiterführen könne, während er selbst an seinem letzten großen Werk, dem Violinkonzert, arbeitete und wenig später in geistige Umnachtung fiel. Brahms indes brauchte fast 25 Jahre, ehe er seine erste Symphonie in c-Moll vollenden konnte, da er nach Schumanns Prophezeiung „ständig einen Riesen hinter sich gehen hörte“. Diese beiden Werke präsentierten die Heidelberger Sinfoniker unter Johannes Klumpp im Palatin Wiesloch[...] Klumpp inszenierte die Brahms 1. Symphonie als existenzielles Drama. Durch vitale Rhythmik, harte Akzente und stimmige Tempodifferenzierungen erzeugte er vor allem in den Ecksätzen eine fast atemberaubende Spannung, die sich am Schluss (...) im Palatin ganz selbstverständlich in begeistertem Beifall entlud. […] Das Orchester spielte durchgängig in demselben Klang, der etwas Objektives, Geistiges hatte, dem aber Sinnlichkeit und subjektives Gefühlserleben abging[…] Der Orchesterklang hätte viel mehr dem späten, also tauben Beethoven entsprochen, der Musik ja nicht mehr sinnlich erfahren konnte. Dadurch wurde die Brahms 1. Symphonie zu dem, als das sie manchmal auch bezeichnet wird: Beethovens Zehnter. […]
Christoph Wagner, Rhein-Neckar-Zeitung, 29.11.2021
Die Heidelberger Sinfoniker brillieren auf der Bühne des Rokokotheaters
[…]zu einem wahrlich bemerkenswerten Konzert der Heidelberger Sinfoniker, das in vielerlei Hinsicht aus dem traditionellen Rahmen fiel.
Und diese so ganz andere äußere Art der Präsentation spiegelte sich auch in der musikalischen Realität: Dirigent Johannes Klumpp organisiert nicht bloß die Koordination seiner Musikanten, sondern spricht auch zum Publikum wohl dosiert über historische und formale Einzelheiten der Stücke; der singende Stargast, die Sopranistin Simone Kermes, verzichtet auf jede Attitüde einer Primadonna[…].
Dabei gehören auch heutzutage schon noch ein paar Takte Mut dazu, ausschließlich Werke von Joseph Haydn zu präsentieren. Verlangt sonst die Struktur eines Abends gewöhnlich auch eine gewisse Abwechslung der Stile und der Komponistennamen, so konzentriert sich hier alles auf „Papa Haydn“, wie Mozart sein großes Vorbild voller Hochachtung titulierte.
Hier aber entlockt der noch neue Chefdirigent der Heidelberger Sinfoniker den Ouvertüren (dreier Opern) und den Sinfonien Nr. 28 in A-Dur und Nr. 23 in G-Dur eine verblüffende Phantasie der klingenden Ideen des Satzes, die Haydns Kompositionen derart einzigartig und unverwechselbar machen.
Dass Johannes Klumpp in seiner ebenso informativen wie humorvollen Moderation vor jedem einzelnen Werk auf spannende und geistreiche Details hinweist und damit der Hörerfamilie […] kluge Hörhilfen gibt, ist ihm hoch anzurechnen. Ganz offenbar will Klumpp mit dieser Art der Musikvermittlung auch neue, vielversprechende Wege einschlagen, das Publikum noch stärker miteinzubeziehen und es vor einer gefährlichen Konsumentenrolle zu bewahren.
[…]Dabei setzt er – weniger heftig als sein ebenso legendärer wie unvergessener Vorgänger im Amt, Thomas Fey – auf scheinbar spontane Ausbrüche oder lautstarke Akzente, sondern auch auf die stilleren Passagen, die lyrischen Momente, die Introvertiertheit der ruhigen Andante- und Adagio-Sätze. Dass die Heidelberger Sinfoniker nicht bloß in den blitzsauberen Allegro- und Prestoteilen, sondern gerade bei deren bedächtigen „Kehrseiten“ auch in der Zurückhaltung so überzeugend musizierten, lässt auf ein ungetrübtes Miteinander von Dirigent und Ensemble schließen. Auf die Gestaltung gerade dieser verträumten Sinfonien-Abschnitte dürfen sich die Musikfreunde bei den bald vorliegenden CD-Einspielungen besonders freuen.
Einen gewissen Kontrapunkt zu dieser höchst differenzierten Musizierweise steuerte die Sopranistin Simone Kermes bei. Sie sang mit Feuer und strahlender Intensität drei Opernarien aus Haydns reichem, leider sehr vernachlässigtem und deshalb schier unbekanntem Bühnenschaffen und setzte dabei durchweg auf ihre für die Dimensionen des Rokokotheaters fast überbordende Stimme. In der vielfach bewährten Händel-Zugabe „Lascia ch’io pianga“ gab sie dann allerdings auch den intimeren und gedämpften Tönen den angemessenen Raum. Bewundernswert bleibt aber ihre hohe Kunst der zielgenau gestochenen Koloraturen.
Bruno Dumbeck, Schwetzinger Zeitung, 18. Oktober 2021
Gib Gas mit Haydn
[…]Zeitgleich zum SWR -Festival-Start gaben unabhängig davon auch die Heidelberger Sinfoniker unter ihrem neuen Chefdirigenten Johannes Klumpp im Rokokotheater ihren Wieder-Einstand[…]: Auch sie sind wieder da, und sie geben Gas mit Haydn.
Was gibt es Schöneres über einen alten Freund zu sagen, als dass er sich gar nicht verändert habe? Sicher: Das ist meist eine Lüge. Auch die Sinfoniker sind älter geworden. Einige Musiker standen gar schon 1990 hier auf der Bühne[…]. Das ist sehr lange her, und sie spielten sie einen kratzbürstigen Vivaldi unter Thomas Fey. Die Haydn-Sinfonien Nr. 23 (G-Dur) und 28 (A-Dur) klingen da heute sehr viel differenzierter, subtiler, geschliffener. Das liegt nicht nur am neuen Dirigenten, das liegt freilich auch an der langjährigen Erfahrung der Musiker. Auch der jetzige Haydn-Klang ist ein anderer als noch vor wenigen Jahren, als man mit der CD-Einspielung aller Sinfonien begann. Es wäre ja auch verwunderlich, wenn alles gleich bliebe: Aber trotz Veränderung ist der Kern der Interpretation kaum anders als früher. Das liegt zum einen am beibehaltenen Instrumentarium (moderne Geigen historisch informiert gespielt, moderne Holz- und historische Natur-Blechbläser), aber auch an der Art und Weise der Artikulation, der beredten Klangsprache dieses Orchesters, das diese bei Nikolaus Harnoncourt gelernt hat. Johannes Klumpp nun ist ein genauer Analyst des Notentextes. Launig und nicht ohne Witz erklärt er dem Publikum, was das Besondere an dem ist, was man gleich spielen wird. Sein Dirigat ist emphatisch (besonders in den langsamen Sätzen), tänzerisch im Menuett und sachlich steuernd in den rasant genommenen Finalsätzen. Hier ist auch der Mut zum Risiko geblieben: Speziell das Rokokotheater schenkt da ja leider nichts. Als Solistin konnte man die Sopranistin Simone Kermes gewinnen, die mehrere Arien sang, darunter sehr koloraturenreiche aus Haydns Fragment gebliebener Orpheus-Oper. Die Sängerin gab dem Abend Glanz und spitze Höhen, die lange nachhallten.
Matthias Roth, Rhein-Neckar Zeitung, 18. Oktober 2021
Plädoyer für Haydn
[…]Die Heidelberger Sinfoniker haben schon vor Jahren das verdienstvolle Projekt gestartet, mit einer Gesamteinspielung aller Haydn-Sinfonien diese musikalischen Juwelen von unschätzbarem Wert besser bekannt zu machen.
Zum Erscheinen der 25. dieser CDs bieten sie derzeit unter der Überschrift „Explore- Haydn“ eine Veranstaltungsreihe an. Im Zentrum stand das Sinfoniekonzert im Bürgerhaus Heidelberg Emmertsgrund „1764 - Eine Haydn-Zeitreise“.
In einer Podiumsdiskussion mit dem Dirigenten Johannes Klumpp und dem Historiker Justus H. Ulbricht wurde zunächst sehr informativ und unterhaltsam „Der Geist einer Epoche“ beschworen, ehe im eigentlichen Konzert die Sinfonien Nr. 21 A-Dur und Nr. 22 Es-Dur „Der Philosoph“ erklangen.
Zwischen den Sätzen las Sebastian Koch mit plastisch-sprachlicher Gestaltung und manch ironischem Augenzwinkern eine von dem mehrfach preisgekrönten deutschen Jung-Dramatiker John Birke für dieses Konzert verfasste Chronik des Jahres. [...]
Die Haydn-Interpretationen Klumpps und der Heidelberger Sinfoniker jedenfalls muss man uneingeschränkt als beispielgebend bezeichnen, vor allem, weil es ihnen immer gelingt, die der Musik innewohnende immense Energie in kaum je gehörter Weise zum Klingen zu bringen und damit E. T. A. Hoffmanns Vorurteil eindeutig zu widerlegen. Wir erlebten ein leidenschaftliches Plädoyer für den Sinfoniker Haydn mit dem Aufruf an alle Dirigenten: Macht diese grandiose Musik endlich allgemein bekannt!"[…]
Christoph Wagner, Rhein-Neckar-Zeitung, 13. Oktober 2021
Mit einem Wort: Elektrisierend!
Die Heidelberger Sinfoniker und ihr neuer Chefdirigent Johannes Klumpp sind ein Phänomen
Wenn es im Publikum und auf der Bühne gleichermaßen knistert und funkelt, dann gehört ein Konzert sicher zu den ganz besonderen Gelegenheiten, die man auch als fleißiger Konzertbesucher nicht wirklich oft erleben darf. Bei den Heidelberger Sinfonikern am Donnerstag Abend um 20 Uhr war dieses Knistern mehr als deutlich zu spüren[...]. Denn was diese 18 Musiker mit ihrem neuen Chefdirigenten Johannes Klumpp da auf die Bühne der Alten Mälzerei zauberten, ist tatsächlich phänomenal: So geschlossen, so vollkommen transparent, dabei aber ohne eine Spur von seelenloser Perfektion, sondern voller Elan und echter Spielfreude wurde da musiziert, dass es eine wirkliche Freude war, dem Orchester dabei zu folgen. Befeuert wird all dies durch den Mann am Pult, der mit seinen expressiven Gesten offenbar nicht nur jeden einzelnen seiner Musiker zu persönlicher Höchstleistung inspiriert, sondern dabei auch die Musik für seine Zuhörer quasi illustriert und kommentiert.
Und das beherrscht Johannes Klumpp nicht nur mit seinem Dirigat, sondern virtuos auch mit Worten. Seine ebenso differenzierten wie humorvollen Einführungen zum Programm sprühten nur so vor Energie und einem ansteckenden Enthusiasmus[...]. Die Einspielung aller 107 Sinfonien von Joseph Haydn (1732-1809) ist ein Herzensprojekt des Orchesters, das unter der Leitung seines Gründers und ersten Chefdirigenten Thomas Fey begonnen und jetzt von Johannes Klumpp weitergeführt wird. Für dieses Programm hatte man drei recht frühe Sinfonien ausgewählt, in denen bereits Haydns Originalität und Experimentierfreude aufscheinen: Die Sinfonie Nr. 3 in G-Dur[...], Nr. 14 in A-Dur und Nr. 12 in E-Dur[...]. Was uns heute so vertraut wirkt an diesen galanten, von höfischer Eleganz geprägten frühen Sinfonien, war zu jener Zeit pure Avantgarde. Die klassische Sinfonie als Genre nahm tatsächlich mit Haydn ihren Anfang, er wurde damit zum Wegbereiter für Mozart, Beethoven und die frühe Romantik. Und wer könnte das besser hörbar machen als die Heidelberger Sinfoniker, die diese Musik mit soviel Herzblut spielen.
Dieses Konzert war wieder einmal ein prachtvolles Beispiel dafür, dass „authentisches“ Musizieren nicht zwingend mit Darmsaiten und Barockbögen passieren muss. Bis auf eine bedeutsame Ausnahme – die beiden ventillosen „historischen“ Hörner verliehen dem Ganzen eine besondere, warme Klangfarbe - war das Orchester an diesem Abend durchwegs auf modernem Instrumentarium unterwegs. Es ist sozusagen weniger die Hardware, die diese spezielle Klangqualität erzeugt, sondern die Software im Kopf der beteiligten Musiker. Und das zeigten die Heidelberger Sinfoniker hier auf beeindruckende Weise: Vollkommen ohne Vibrato mit perfekter Intonation zu spielen – Kenner wissen, wie heikel das bei einer so kleinen Besetzung werden kann – ist nur ein Aspekt, aber diese Myriaden von fitzeligen Streicherfiguren bei teils teuflisch flotten Tempi so blitzsauber zusammen abzuliefern … Hut ab! Das war einfach großartig, frisch und stringent musiziert, mit voller Konzentration bis zum letzten Akkord der Zugabe. [...]
Pia Geimer, Rhein-Neckar-Zeitung, 12. Juli 2021
Die Faszination des Handlungsballetts, einer Choreografie, die ohne Worte eine Geschichte erzählt, war seit dem selbst gern tanzenden "Sonnenkönig" Louis XIV. von Versailles ausgehend in ganz Europa sehr verbreitet. Auch am Heidelberger Hof kam es Anfang des 18. Jahrhunderts zu einer kurzen Blüte dieses theatralen Genres[...]
Die Musiker des Mannheimer Hof-Orchesters, fast allesamt auch Komponisten, verfassten viele solche Stücke - die wenigsten haben allerdings die Zeiten überdauert, die meisten verbrannten 1945 im alten Nationaltheater.
Wie der Dirigent und Musikwissenschaftler Timo Jouko Herrmann zu Beginn des Konzerts in der Heidelberger Heiliggeistkirche zurecht hervorhob, handelt es sich dabei auch "um das kulturelle Erbe unserer Region", und daher ist das auf mehrere Jahre angelegte Projekt der Heidelberger Sinfoniker in Zusammenarbeit mit der Ballettwerkstatt Heidelberg, noch erhaltene Schätze wieder zum (Bühnen-) Leben zu erwecken, herzlich zu begrüßen. Die Stadt Heidelberg fördert es im Rahmen des Kulturfonds KulturLabHD.
Nun war als erste Produktion ein Werk von Christian Cannabich zu erleben, "Ceyx et Alcyone", das am 5. November 1762 als eines von zwei Zwischenakt-Balletts zur Oper "Sofonisba" von Tommaso Traetta in Mannheim uraufgeführt wurde[...]
Die Musik lohnt ihre Wiederausgrabung[…]machen viel Effekt und sind als Musik der "Mannheimer Schule" gut zu identifizieren: Dynamische Crescendo-Walzen, blitzende "Raketen" (schnell auffahrende Tonleitern) und schrille Kontraste sind unverkennbar und waren auch in den einleitenden Sinfonien von Johann Stamitz und Peter von Winter gut herauszuhören.
Die Sinfoniker unter Timo Jouko Herrmann spielten mit Rasanz und punktgenauer Rhythmik, was in der halligen Akustik der Heiliggeistkirche seine Wirkung nicht verfehlte. Man merkte deutlich, dass die Musiker mit dieser Musik bestens vertraut sind.
Die tänzerische Umsetzung der Ballettwerkstatt (Choreografie: Wiebke Hofmann und Paolo Amerio) war beeindruckend und brachte mit wenigen Mitteln erstaunliche Abwechslung ins Geschehen. Die jugendlichen Tänzerinnen und Tänzer (die Hauptrollen waren aus der Gruppe von zwölf Beteiligten perfekt besetzt worden) hielten den Spannungsbogen über 40 Minuten auf hohem Niveau.
Von Matthias Roth, Rhein-Neckar-Zeitung 17.09.2019
CD-Kritiken
Online Merker, Alexander Walther, 28. August 2024
Erfrischender Optimismus
Pünktlich zu den Festivitäten rund um das 30jährige Bestehen der Heidelberger Sinfoniker erscheint diese Box mit 4 CDs beim Label Hänssler Classic. […] In der vorliegenden Box sind Vol. 32, 33, 34 und 35 enthalten – mit den 11 noch fehlenden Sinfonien. […] Bei der Sinfonie Nr. 66 blitzt in reizvoll-schelmischer Weise die Melodik hervor. Die Heidelberger Sinfoniker musizieren unter Klumpp sehr durchsichtig und akzentuieren jedes Detail akribisch. Im Kontrast dazu steht die düster-tragische Sinfonie Hob. 71, wobei die Bewegung des Allegro con brio voll ausgekostet wird. Unisono- und Synkopen-Passagen beleben das harmonische Klangbild hier erfrischend. Eigenartige Themenbildung, dynamische und harmonische Schroffheiten und witzige Details wechseln sich in rasanter Weise ab. Das strahlende D-Dur der Sinfonie Nr. 62 kommt bei dieser Aufnahme leuchtkräftig zum Vorschein. Die zweiten Geigen betören mit ihrem lyrischen Thema und den durchlaufenden Achteln den Hörer. Der Grundton des Optimismus und des heiteren Frohsinns ist hier überall herauszuhören. Volkstümliche Frische beherrscht außerdem die Wiedergabe der Haydn-Sinfonien Nr. 74, 76, 77, 78 und 81, wobei Johannes Klumpp mit den Heidelberger Sinfonikern das Kunststück gelingt, diesen Werken auch hintersinnigen Tiefsinn zu verleihen, den man nicht vergisst. Bei aller stürmischen Leidenschaftlichkeit kann diese Musik wunderbar innig sein. Doch „Papa Haydn“ klingt dabei nicht übermäßig gravitätisch oder altväterlich, sondern zuweilen sogar forsch und ungemein jugendlich. Das spürt man dann auch bei den Sinfonien Nr. 80, 79 und 91, die leider gegenüber den Sinfonien Nr. 88, 90 und 91 im Hintergrund stehen und im Konzertsaal vernachlässigt werden. Immer wieder stellt man hier fest, in welch hohem Maße Geist, Fantasie und Kunst an der bezaubernden Durchführung mitwirken. Da gibt es witzige Ausflüge in verblüffende Tonarten, federleichte Spiele mit vertrackten Themenpartikeln, Scheinschlüsse oder ähnliche Überraschungseffekte. Innere Spannung und scharfe dynamische Kontraste vernachlässigt der umsichtige Dirigent Johannes Klumpp mit den Heidelberger Sinfonikern nie. Die anmutig-beweglichen Allegro-Themen werden so mit lockerer Hand durch die Sätze gewirbelt. Und dennoch haben die Seitengedanken immer genügend Platz. Bei der Es-Dur-Sinfonie Hob. 76 verblüfft insbesondere die Größe und Weite der Tonart. Majestätische Erhabenheit herrscht deutlich vor. Im zweiten Satz erzählen die Streicher eine eigenartige Geschichte. Auch bei der Sinfonie Nr. 81 überrascht vor allem im Finale die Weite der kompositorischen Anlage. Das Visionäre dieser Musik verstummt nie.
Rhein-Neckar-Zeitung, Matthias Roth, 6. September 2024
Mit Paukenschlag und ganz viel Esprit
Eine Frage, die sich beinahe unweigerlich stellt, wenn man die Sinfonien Joseph Haydns komplett vor sich liegen hat, ist die, ob es denn überhaupt keine „schwachen“ Stücke in diesem Gesamtschaffen gibt. Tatsache ist: Es gibt starke Werke in jeder Phase der 40-jährigen Entstehungszeit, auch solche, die außerordentlich berühmt und zum geflügelten Wort geworden sind wie die Sinfonie mit dem Paukenschlag.Es sind aber auch solche darunter, die weniger ausdrucksintensiv oder kaum bekannt sind. Aber „schwach“ im Sinne von uninspiriert, gewöhnlich, klischeebeladen oder insgesamt bedeutungslos finden wir keine darunter – und es gibt viel Orchestermusik aus den gleichen Jahrzehnten von anderen Komponisten, die im Vergleich eher schwächeln: Letztlich ist Haydn der Maßstab, an dem sie gemessen werden. Seine Werke für Orchester sind der Urknall der klassischen Sinfonik, und jede einzelne Komposition trägt das ihre zur Entwicklung dieser Gattung bei. Mozart, Beethoven, Schumann, Mahler, Schostakowitsch oder Henze – ohne Haydns Initialzündung wäre wohl keiner von ihnen in seiner Weise denkbar, die gesamte Entwicklung wäre vermutlich anders verlaufen ohne seinen Beitrag. Haydn, das ist die wesentlichste Quelle und die Wurzel dessen, was uns heute noch im Konzertsaal begegnet. So ist auch die abschließende 4-CD- Box der Heidelberger Sinfoniker, die nun noch elf Sinfonien herausbringen und damit ihre vor 25 Jahren begonnene Gesamteinspielung der 107 gesicherten Werke Haydns vollenden, keine mit „schwächeren“ Resten. Die hier gespielte Musik stammt aus der Zeit zwischen 1775-1788, einer höchst produktiven Zeit: Haydn auf der Höhe seiner Kunst. Die Sinfoniker unter Johannes Klumpp sind mit Leib und Seele bei der Sache und gestalten ihren speziellen „Heidelberg Sound“, einen Mix aus modernen und historischen Instrumenten sowie einer Artikulation und Tongebung im Stil der Haydn-Epoche, souverän. [...]
Viele bescheinigen, dass Klumpp den „Sinfoniker-Style“ perfekt adaptiert habe, ohne gänzlich auf eigene Vorstellungen zu verzichten. Insgesamt erscheint sein Haydn gelassener als unter Thomas Fey, auch wenn ihm dramatische Zuspitzung – wenn nötig – nicht abgeht und sein Blick aufs Detail die Musiker packt. Das hat viel Esprit. Das Orchester feilte unter seiner Leitung auch am klanglichen Profil und zeigt nun eine gewisse Reife, die nach 25 Jahren gut zu Gesicht steht . [...]
Bremen Zwei mit der Klassikwelt, Wilfried Schäper, 22. September 2024
Die Heidelberger Sinfoniker haben gerade ein Mammutprojekt vollendet. Das Orchester hat sage und schreibe alle 107 Sinfonien von Joseph Haydn aufgenommen. Eine gigantische musikalische, editorische und interpretatorische Leistung. Dirigent der Heidelberger Sinfoniker ist Johannes Klumpp. Der ist nicht nur ein fabelhafter Musiker, auch seine Booklet-Texte sind brillant und witzig. Er schreibt: „Heidelberger Haydn istein Ausbund an Dynamik, Frische, Wildheit, Humor und Überraschungsreichtum“. Ich kann nur sagen: stimmt! {…]. Ein Haydn für das 21. Jahrhundert: historisch informiert, knackig und voller Humor.- Mit dieser jetzt kompletten Edition sind die Heidelberger Sinfoniker eines von nur ganz wenigen Orchestern weltweit, die wirklich alle Haydn-Sinfonien im Studio aufgenommen haben – Glückwunsch!
Rondo, Attila Csampai, 28. September 2024
Joseph Haydn Vol. 32-35
Mit dieser 4-CD-Box komplettieren die Heidelberger Sinfoniker ihre 1999 begonnene Gesamtaufnahme der Sinfonien Joseph Haydns. […]. Jetzt also erschienen die noch fehlenden elf Teile des großen Haydn-Puzzles mit Werken, die weniger bekannt sind, und die größtenteils in den frühen 1780er Jahren als Auftragswerke für London und Paris entstanden, direkt vor den bekannten „Pariser Sinfonien“. Auch hier staunt man vor allem über Haydns entfesselte Experimentierfreude, die den wachen Hörer fast in jedem Satz mit ständigen Überraschungen konfrontiert, und so teilhaben lässt an seinem grenzenlosen Einfallsreichtum. Vor allem die beiden Moll- Sinfonien Nr. 78 und 80 entpuppen sich als kühne „Versuchsanordnungen“ mit teilweise verrückten emotionalen Kontrasten, so etwa im Kopfsatz der d-Moll-Sinfonie Hob. I:80, in dem Haydn apokalyptische Bedrohung mit einem gemütlichen Walzer kombiniert, gewissermaßen als Reflex auf das damalige politische Klima. Und im Schlußsatz gibt es jazzartige Synkopenketten mit virtuosen Verdichtungen. Wir sind viereinhalb Stunden lang zu Gast in Haydns musikalischem Chemielabor, und da kracht und lodert es gehörig, weil auch die Heidelberger mit entfesselter Spielfreude und Herzblut das revolutionäre Potenzial dieser bis heute vernachlässigten Meisterwerke aufleben lassen. Im Booklet preist Klumpp das Ensemble als „Ausbund an Dynamik, Frische, Wildheit und Humor“ und auch die exzellente Klangqualität der Aufnahmen unterstreicht diesen Befund. So schließt sich hier der Kreis eines 25 Jahre währenden Projekts, das den zutiefst humanen Seelenmotor dieses einzigartigen Konvoluts intensiver erstrahlen lässt als so manche prominentere Konkurrenz. Eine Komplett-Edition ist jetzt fällig.
Klassik heute, Rainer W. Janka, 12. Oktober 2024
Mit dieser vier CDs umfassenden Box ist das Projekt der Heidelberger Sinfoniker beendet, alle Haydn-Sinfonien einzuspielen. […]. Am besten liest man erst das von Klumpp verfasste Booklet. Denn keiner kann so herzlich nichtwissenschaftlich und doch so feinsinnig-gelehrt und damit so appetitanregend über Haydn-Sinfonien reden bzw. schreiben wie eben Johannes Klumpp. Bei ihm verbrüdern sich in Haydns Sinfonien „Geist und Radau“, bei ihm hat eine langsame Einleitung „Dramatik, Nervosität und Bitte, bei ihm „peitschen Synkopen uns auf“, bahnen sich „wie auf Zehenspitzen die Geigen ihren Weg“, da kribbelt Haydns Musik von innen, ein Satz bewegt sich tänzelnd und pfeifend durch die Straßen oder da hat ein Menuett „einen durchgestreckten Rücken“, da vermischen sich in einem Satz „jüngstes Gericht und Walzer in einer frivolen Mischung“, da bescheinigt er Haydns Musik „unglaublichen Groove, gehörigen Pfeffer“.
Enorme Spielfreude
Diesen Groove und diesen Pfeffer hört man in fast jeder der hier eingespielten Sinfonien. Immer herrscht in den Außensätzen moussierendes Tempo, enorme Spielfreude, gestisches Musizieren, gespannteste Elastizität und federnde Eleganz. In den langsamen Sätzen singen oftmals die Geigen nicht nur, sondern sprechen, denken nach oder zweifeln. Mit vergnüglichem Schmunzeln servieren die Musiker die „zu starken“ Auftakte in einem Menuett (CD 1, Track 3). Wenn „scherzando“ dasteht, sieht und hört man die Musiker schmunzeln – so wie der Rezensent beim Zuhören. […].
Allenthalben herrliche Adagios
Immer geschickt sind die Streicher und die Bläser entweder gegeneinander ausgespielt oder klangsteigernd fusioniert. Die Tonregie unterstützt dies auch durch Trennschärfe und Durchhörgenauigkeit und durch ein insgesamt sehr natürlich klingendes Hörbild. […]
Gewiss hat auch die Gesamtaufnahme aller Haydn-Sinfonien mit dem Austro-Hungarian Haydn Orchestra unter Adam Fischer ihre Meriten (Brilliant als Lizenz von Nimbus UK, 1987-2001), vor allem den Aspekt der historischen Aufnahmestätte im Eszterházy-Palast, gewiss unterscheiden sich die gewählten Tempi nur wenig – aber die Heidelberger spielen frischer, dringlicher, fröhlicher, ja fetziger, gewitzter. Und deswegen ziehe ich diese Aufnahme vor, höre im Ernstfall natürlich beide.
Concerti, Christoph Vratz, 14. Oktober 2024
Beachtliches Finale
[…] Auch die bislang noch fehlenden Bausteine zeigen, dass der Heidelberger Haydn nie betulich klingt, sondern natürlich, lebendig und stellenweise, dank Haydns Humor, unberechenbar. Diese Musik besitzt in der vorliegenden Aufnahme etwas Leichtes einerseits und eine große Entschlossenheit andererseits. Man erkennt, was alles in diesen Werken vom Geist der damaligen Zeit steckt und was davon heute immer noch aktuell ist. Klumpp findet stets kluge Lösungen, die nie auf Extreme ausgerichtet sind: bei Tempofragen, bei Fragen der Balance und der Dynamik. Insgesamt bilden diese elf Sinfonien das würdige Finale eines beachtlichen Zyklus.
Pizzicato, Alain Steffen, 31. Oktober 2024
Es ist vollbracht!
Nach 25 Jahren sind die Heidelberger Sinfoniker mit ihrer damals spektakulär begonnen Gesamteinspielung aller Haydn-Symphonien nun am Ende angekommen. Der Stil hat sich im Laufe dieser Jahre verändert, die Sicht auf Haydn ist versöhnlicher geworden, die Spielqualität des Orchesters besser und die Interpretationen filigraner. Dies ist also keine homogene Gesamteinspielung, sondern zeigt auf dynamische Weise, wie sich das Bild der historisch informierten Aufführungspraxis selbst in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Nach den quasi unerbittlichen und radikalen, sogar revolutionären Interpretationen der ersten Aufnahmen unter Thomas Fey klingen die letzten Einspielungen unter Johannes Klump jetzt weitaus versöhnlicher, entspannter und reifer.
Man ist einen gemeinsamen Weg gegangen, wirkliche Durchhänger gab es bei diesem Zyklus keine, das Niveau war immer sehr hoch. Was jetzt diese letzten Aufnahmen der hier eingespielten elf Symphonien betrifft, so kann man feststellen, dass die Spielfreude und Interpretationslust, das Unmittelbare und Kommunikative während diesem Vierteljahrhundert aufrechterhalten werden konnte.
Und so kann sich der Hörer auch diesmal auf einen spannenden, musikalisch erstklassigen und immer wieder mitreißenden Haydn freuen, bei dem alle Symphonien auf dem gleich hohen Niveau gespielt werden. In diesem Sinne, Danke an das Orchester, an die drei Dirigenten und an Hänssler für diesen immer aufregenden Zyklus.
Audio-Stereoplay 12-2024, Andreas Fritz
Klassik-CD des Monats, Klang-Tipp, Klassik-Highlight
Joseph Haydn Sinfonien Vol. 32–35
Es ist das Ende einer langen musikalischen Reise: Die historisch orientierten Heidelberger Sinfoniker legen zu ihrem 30. Geburtstag die Aufnahme der letzten elf der 107 Sinfonien von Joseph Haydn vor. Diese bereits im Jahr 1999 mit Thomas Fey begonnene und jetzt unter der Leitung von Johannes Klumpp abgeschlossene Gesamteinspielung ist eine nicht hoch genug einzuschätzende Leistung – nicht nur in quantitativer, sondern vor allem auch in qualitativer Hinsicht. Nur selten hat man diese Sinfonien so frisch, so differenziert, so dynamisch gehört wie hier. Zugleich arbeiten die Heidelberger heraus, was die Musik des Wiener-Klassik-Komponisten Haydn auszeichnet: Tänzerischer Schwung, überraschende Einfälle, kunstvolle Naivität, Gegensätze auf kleinstem Raum – und ganz viel Augenzwinkern. Den Heidelberger Sinfonikern gelingt dies, weil sie technisch perfekt und mit einer unbändigen Spielfreude musizieren. Das wunderbar detailreiche Klangbild steht dem in nichts nach. Dies ist die neue Referenzaufnahme für Haydns sinfonisches Gesamtwerk.
Rondo Magazin, Attila Csampai, 20. Januar 2024
Bereits 1999 begannen die Heidelberger Sinfoniker unter ihrem Gründer und damaligen Leiter Thomas Fey mit ihrer vorbildlichen Einspielung aller Sinfonien Joseph Haydns. Sie stehen jetzt, nach 24 Jahren, unter ihrem neuen Chef Johannes Klumpp, der das Orchester 2020 übernahm, kurz vor dem Abschluss des Riesenprojekts, und haben nun gleich vier Folgen (Vol. 28-31) mit insgesamt 15 Sinfonien in der für sie typischen Frische, Rasanz, und ansteckenden Spiellaune vorgelegt, und so erneut das hohe Qualitätsniveau der Edition eindringlich bestätigt.
Da Klumpp seit Folge 25 die noch ausstehenden Werke in chronologischer Abfolge und nach neuesten wissenschaftlichen Standards einspielt, enthält die neue 4-CD-Box jetzt zehn Arbeiten des 30- bis 32-jährigen Haydn aus den Jahren 1763 - 1765, ergänzt durch fünf Sinfonien, die zwischen 1773 und 1776 entstanden sind. Diese exakte Chronologie widerspricht der inzwischen überholten historischen Nummerierung des Hoboken-Verzeichnisses. Es handelt sich also um eher frühe bis mittlere Werke aus dem riesigen Eszterházer Bestand, die aber allesamt bis heute im Konzertsaal ein Schattendasein fristen, obwohl Haydn gerade in ihnen seinen überschäumenden Experimentiergeist und seine sinfonische Revolution vorantreibt. [...].
In fast all diesen frühen Sinfonien leistet sich der stille Revolutionär aus Eisenstadt die verrücktesten Experimente, und wir erleben quasi hautnah den allmählichen Entwicklungsprozess der klassischen Sinfonie, vollzogen von einem hochmotivierten, quicklebendigen, geradezu mitreißenden Musiker-Kollektiv.
Pizzicato, Alain Steffen, 24. Januar 2024
„Haydn-Symphonien, bestens ausgewogen"
Nach Thomas Fey und Benjamin Spillner steht nun mit Johannes Klumpp der dritte Dirigent am Pult der Heidelberger Symphoniker, um den Ende der Neunzigerjahren begonnenen Haydn-Zyklus zu Ende zu bringen. Und man muss sagen, dass die Gesamtaufnahme der Haydn-Symphonien im Laufe eines Vierteljahrhunderts ein bisschen an Aktualität und Reiz verloren hat. Die Einspielung geht nur schleppend voran und was vor 25 Jahren neu und aktuell war, ist heute ein alter Hut. Zudem haben andere Ensembles in Sachen Haydn aufgeholt, so dass Feys einst revolutionäre Interpretationen heute kaum noch jemanden aufhorchen lassen.
Und trotzdem bleibt der Heidelberger Haydn für mich eine der besten Aufnahmen, die es gibt. Sicher, das Orchester ist unter Johannes Klumpp etwas braver geworden, aber es ist nicht zu überhören, dass die Interpretationen, tiefer, ausgewogener und auch schlüssiger geworden sind. Spieltechnisch sind die Heidelberger Symphoniker besser geworden und Klumpp erreicht das Kunststück, eine ideale Brücke zwischen markanter historischer Aufführungspraxis und klassischer Eleganz zu schlagen. Das ist vielleicht weniger spektakulär, aber Haydns Symphonien gewinnen unter Klumpps Dirigat an Eigenständigkeit und Präsenz, dies in hervorragender Klangqualität.
[...]. Dieses Haydn Album ist dank seiner Geschlossenheit, seiner Ausgewogenheit und seiner interpretatorischen wie spielerischen Intelligenz ohne Zweifel eines der Höhepunkte im Heidelberger Haydn-Zyklus.
Klassik-heute Empfehlung, Rainer W. Janka, 28. Januar 2024
[...]. Bei Volume 31sind sie mit dieser 4-CD-Box schon angelangt. [...] Johannes Klumpp. Der erfreut schon vor dem Hören durch das Lesen – und ich darf mich hier wiederholen: So herzerfrischend sympathisch, so wortgewandt und wortverliebt, so treffgenau in Beschreibung und Vergleich stellt er die Symphonien vor, dass man sofort nachhören will, ob das alles so zutrifft – oder dass man schon die Beschreibung fürs Hören nimmt.
„Schwungvolle Larmoyanz“ entdeckt er da (welch glückliche, fast an Thomas Mann gemahnende, Contradictio in adjecto!) und dann einen „Hauruck-Haudrauf-Satz“ sowie „etwas ‚Psycho‘, lange vor Hitchcock“, ein Menuett streckt da rhetorisch „die Faust zum Himmel“, „delirisch geht’s im Nebenzimmer zu“ oder „es schweben Feen“ oder lapidar: „Ein Satz, der knallt.“ Unerschöpflich wie Haydns Symphonie-Kreativität ist Klumpps Beschreibungs-Virtuosität.
Überraschend und vital
Und so schwebt und knallt es allenthalben in diesen 15 Symphonien, die alle in den Jahren 1763 -1774 entstanden sind.
Nimmt man die erwähnte Adam-Fischer-Gesamtaufnahme zum Vergleich, stellt man erstaunliche Unterschiede fest: Schon die Tempi sind bei Klumpp fast grundsätzlich anders, immer entweder viel rascher oder viel langsamer: Klumpp spreizt die Agogik-Möglichkeiten. Klumpp und die Heidelberger Sinfoniker scheinen alles nochmal eine Spur deutlicher, rhetorisch nachdrücklicher zu gestalten, als wollten sie die Überraschungen, Überspitzungen, Verblüffungen und Erheiterungen, die Haydn für seinen Fürsten Esterházy dauernd neu produzieren musste, für unsere Zeit übersetzen, die ja Knalliges, Fetziges, Überwältigendes im Übermaß zur Verfügung hat. [...].
Springteufelige Agilität
Die Heidelberger Sinfoniker spielen mit einer fabelhaften Kompaktheit und plastischen Direktheit: Man hört immer nur eine Geige spielen statt deren vier. Voll anspringendem Temperament, freudiger Lust am Presto, springteufeliger Agilität oder vergnügt-ruppigem Zugriff rasen sie durch die schnellen Sätze, in den langsameren entfalten sie farbenreichen Klangzauber. Schier unendlich groß ist ihr Überredungs- und Begeisterungswille. Vor allem die Variationssätze scheinen es ihnen angetan zu haben, da servieren sie geradezu liebevoll-zärtlich die zahlreichen Schönheiten wie zum Bespiel im Adagio der Symphonie Nr. 55, in der wahrlich „die Feen schweben“. Und sie haben hervorragende Solisten: Hörner mit virtuoser „Lippengymnastik“ (so scherzt Klumpp im Booklet) in der Symphonie Nr. 72, ein Cello mit samtener Sanglichkeit in der Symphonie Nr. 13 und eine seelenvolle Flöte im Adagio der Sinfonie Nr. 24, das geradezu ein Mini-Flötenkonzert ist, und dann wiederum brummig lächelnde Fagotte im Finalsatz der Sinfonie Nr. 68.
Auch klanglich überzeugend
Die Symphonien sind an drei verschiedenen Orten aufgenommen, doch die Tontechnik schafft es immer, die überaus zahlreichen schönen Einzelheiten plastisch darzustellen. Man scheint in der ersten Reihe zu sitzen und die Ohren in alle Richtungen zu drehen: Es ist einfach ein Haydn-Spaß!
Online Merker, Dr. Ingobert Waltenberger, 7. Februar 2024
Ein Haydn-Riesenprojekt, wie es nicht so viele gibt in der Geschichte der Schallplatte, geht nach einigem Hin und Her in die Endrunden, [...]
Ab der Saison 2020/2021 oblag es dem neu amtierenden künstlerischen Leiter des Heidelberger Orchesters Johannes Klumpp, den Zyklus abzuschließen und zum Ziel zu führen. Nicht allen Dirigenten ist das gelungen, [...].
Die jüngsten großen Haydn-Projekte stammen von Giovanni Antonini mit dem Kammerorchester Basel und Il Giardino Armonico für Alpha (2023 bei Vol. 14 angelangt) und eben den Heidelberger Sinfonikern, die historisch informiert voller Leidenschaft, Witz, Spielfreude und auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand an die Sache gehen.
Die nun auf 4 CDs in einer Box veröffentlichten Sinfonien, komponiert im Zeitraum 1763 bis 1774, bieten Hörvergnügen vom Feinsten. Aufgenommen in Wiesloch, Bad Wildbad, und Heidelberg-Pfaffengrund mit umfangreichen Informationen des Dirigenten zu den musikalischen Eigenheiten der Stücke sind diese so innovativen wie verspielt experimentellen Sinfonien nun wieder in einer unverwechselbar eigenen Interpretation zu genießen.
Haydn kann so viel und noch mehr sein: Sturm und Drang, virtuos-euphorisch sprudeln, ländlich-erdig, kapriziös, galant und filigran, lichtvoll und dunkel sein, kontrapunktisch raffiniert zwinkern, kantabel singen und kokett wirbeln. Die Stimmungen und atmosphärischen Wechsel sind ein Abbild seelischer Disponiertheit in launischer Unberechenbarkeit und steter Kurzweil, dissonant frech, balsamisch anschmiegsam bis reißerisch springginkerlhaft.
Johannes Klumpp glaubt man seine Begeisterung und sein Engagement nicht nur aufs Wort, er vermag überdies das Orchester zu technisch-klanglichen Höchstleistungen und spontan empfundener Quirligkeit bei formal kluger Disposition und Balance zu animieren. Wie andere große Haydn-Interpreten, vor allem der derzeit zu filmischen Ehren gekommene Leonard Bernstein und Nikolaus Harnoncourt, ist Klumpp daran gelegen, „Musik zu den Menschen bringen“. Er moderiert Konzerte, kann ebenso mitreißend und klug über Musik parlieren und schreiben. Das Booklet genau zu lesen empfiehlt und lohnt sich daher.
Exzessive und marktschreierische Rekordversuche in Sachen Tempi und Dynamik gibt es glücklicherweise nicht zu vermelden. Manche Interpreten scheinen sinfonische Musik der Barockzeit und Klassik ja durchaus mit Formel I-Rennen zu verwechseln.
Bei Klumpp und seinen „Heidelbergern“ stehen das Musikantische, eine natürlich wirkende Rhetorik, das verschmitzt Erzählerische und das tief Humanistische der Musik im Vordergrund. Dazu kommen ein untrügliches Gespür für Klangfarben, eine beredte Bogenführung, Temperament und eine expressive, auf organische Kontrastwirkungen erpichte Artikulation. Dabei kommt er angenehmerweise ohne jegliche Manierismen oder Schwatzhaftigkeit aus.
Am Ende lebt jede bedeutende Interpretation von der unbedingten Immersion in den vielgestaltigen Haydnschen Kosmos, vom persönlichen Charisma der Beteiligten und einer unverwechselbar atmosphärischen Klangspachtelei. All das ist in dieser Edition üppig vorhanden. Ein faszinierender Haydn-Zyklus auf der Höhe der Zeit. Wenn alles publiziert ist, steht uns die erste komplette Gesamtaufnahme in historisch informierter Aufführungspraxis ins Haus, wenn ich nicht irre. Willkommen!
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, Gfel, 12.Februar 2024
Das Projekt der Heidelberger Sinfoniker, alle Haydn-Sinfonien einzuspielen, nähert sich dem Ziel. Johannes Klumpp, der dem Initiator Thomas Fey nachfolgte und die verbliebenen Stücke nach ihrer Entstehungsreihenfolge präsentiert, legt diesmal bei hänssler classic nicht weniger als 15 Werke vor, die Nummern12, 13, 16, 21 bis 24, 28 bis 30, 55, 67,68 und 72 sowie eines aus dem Nachlass, um genau zu sein. Fast eine Wundertüte, weil es sich um zu Unrecht wenig gespielte und bekannte Sinfonien aus Haydns Jahren in Eisenstadt handelt; vor allem aber bei der Entdeckung, wie – nach eigenen Worten –„original“ der Komponist hier in jedem Einzelsatz ist, wie er immer wieder neue Dramaturgien, Stimmungslagen, Klangfärbungen findet. Der Dirigent inspiriert das Ensemble nicht nur zu zupackendem, vitalem und durchsichtigem, klar konturiertem Spiel von kompakter Materialität (mit einem kleinen Minus an Charme und Sentiment), sondern liefert dazu auch noch die launig-originellen Kommentare im Booklet: großes Vergnügen nicht nur für die Ohren.
Die Heidelberger Sinfoniker zeigen mit 15 Sinfonien ihre Klassik-Kompetenz – Gesamteinspielung nach 25 Jahren auf der Zielgeraden
Rhein-Neckar-Zeitung, Matthias Roth, 14. Februar 2024
Wer nicht mit seiner Aufgabe wächst, ist letztlich der Aufgabe selbst nicht gewachsen: Als die Heidelberger Sinfoniker 1999 begannen, sämtliche Haydn-Sinfonien für CD einzuspielen, prognostizierte Thomas Fey, der Gründer und damalige Leiter des Orchesters: „Das ganze Projekt wird mindestens zehn Jahre dauern, und ich bin sicher, es wird uns alle verändern.“ Das ist nun 25 Jahre her, und natürlich sollte Fey, der 2014 verunglückte und seither nicht mehr als Dirigent arbeiten kann, recht behalten: Wie die Menschen, so verändern sich auch Orchester – den ursprünglichen Charaktermuss man dabei aber nicht verlieren. Es gab seither viele Brüche in der Entwicklung dieser Aufnahmen, doch der ursprüngliche Spirit blieb erhalten: Nach den letzten Takes unter Feys Leitung (Vol. 23, 2016) folgten Einspielungen unter der Führung des Konzertmeisters Benjamin Spillner. Daneben arbeitete man mit Gastdirigenten wie Michael Hofstetter, Reinhard Goebel, Frieder Bernius oder Timo Jouko Herrmann. Solche Erfahrungen bleiben nicht folgenlos. Seit 2020 ist Johannes Klumpp künstlerischer Leiter der Sinfoniker – und er bringt die Haydn-Serie nun zu ihrem Ende.
Der „Heidelberger Haydn“ ist inzwischen zur Marke geworden und wird international geschätzt. Eine neue Box mit vier CDs und 15 Werken (Vols. 28-31) ist dieser Tage erschienen, der abschließende Viererpack soll später im Jahr zum 30-Jahr-Jubiläum der Sinfoniker herauskommen: Endspurt für ein Unternehmen, das den Namen Heidelbergs in der klassischen Musikwelt gut verankert hat. […] Geblieben sind auch die Vermeidung von Vibrato sowie die Faszination der „Klangrede“: Nikolaus Harnoncourt mentorierte die Musiker zeitweise und prägte nicht nur den Dirigenten Fey. Freilich: Das war typisch für die Jahrzehnte um die Jahrtausendwende, aber verfängt es noch immer? Natürlich – wenn auch anders. Denn ein wesentliches Moment der Sinfoniker ist darüber hinaus ihr jugendlich inspirierter Elan, ihre Agilität, ihr Musizieren auf der Stuhlkante. Einige Musiker stammen noch aus der Ur-Besetzung und tragen ihre musikalische Haltung weiter, vor allem bei Haydn. […] „Papa Haydn“ der Fortschrittliche ist noch nicht in allen Köpfen. Diese Aufnahmen helfen, den Blick zu verändern. Am deutlichsten bei nicht so geläufigen Werken. Wo einem die Musik „neu“ erscheint, entdeckt man den unglaublichen Ideenreichtum Haydns, seine gewagten, bisweilen ins Groteske gehenden Eigenwilligkeiten, seinen schier endlosen Kampf gegen die Schläfrigkeit des Publikums, dem er häufig mit überraschenden Forte-Schlägen auf die Sprünge hilft. Die Sinfoniker arbeiteten solche Charakteristika heraus, mitunter mit nicht weniger Bizarrerie. Hier ist das Orchester unter Johannes Klumpp etwas gelassener geworden und vermutet nicht hinter jedem Tremolo gleich einen Herzinfarkt. Der Reifungsprozess ist unüberhörbar. Was nicht heißen soll, dass man harmloser geworden ist: Doch es ist auffallend, dass die Melodie-Akzente etwa im „Poco adagio“ von Nr. 28 kaum als Kontrastwirkung begriffen werden und der lange Satz (fast zehn Minuten Dauer) seine unaufgekratzt-zeitlose Entspanntheit fast ungestört entfaltet – wären da nicht die überraschenden Forte-Akkorde, die wie ein Schlagholz des Zen verhindern, dass man wegträumt. Haydns Zeitalter war das der Aufklärung, das darf nie vergessen werden. Klumpp differenziert die Dynamik feiner als jeder andere Dirigent, er tastet im Piano die Grenze zum fast Verstummten an, um dann im Forte – heißt: kräftig! – richtig laut zu werden. […]. In dieser CD-Box stehen alle Sinfonien in Dur-Tonarten. Weniger bekannt sind jene mit vier Hörnern, die Haydn in dem kurzen Zeitraum um 1763/64 schrieb, als er solche zur Verfügung hatte. Die bekannteste, „Der Philosoph“ (Nr. 22), ist eine der eindrucksvollsten dieser Box – nicht nur wegen der wundervollen Hörner, sondern auch der bei Haydn sonst selten verwendeten Englischhörner. […]. Die Heidelberger Sinfoniker beweisen insgesamt auf diesen CDs ihre ganze Haydn-Kompetenz, und Dirigent Johannes Klumpp hat sie wunderbar im Griff.
Kultkomplott, Gerhard von Keußler, 19. Februar 2024
Joseph Haydn (1732-1809) galt schon zu Lebzeiten als ein Genie. Zudem hat er mit seinen Kompositionen das Schaffen von Mozart, Beethoven, Schubert und Brahms maßgeblich beeinflusst. […]. Haydn, der früh Begabte, traf, als Voraussetzung für seine beispiellose Arbeit, die richtigen Leute zur richtigen Zeit, wie den Grafen Karl von Morzin und vor allem den Fürsten Esterházy. Sie alle ermöglichten ihm freie kreative Entfaltung bei wirtschaftlicher Unabhängigkeit.
Nur so war er in der Lage, innerhalb von sechs Jahrzehnten unter anderem 68 Streichquartette, 46 Klaviertrios, 52 Klaviersonaten, 21 Streichtrios, über drei Dutzend Solokonzerte, 4 Oratorien, 14 Messen, etliche Bühnen- und Orchesterwerke und 108(!!) Sinfonien zu komponieren. Ein unglaubliches Oevre, da er so erklärte:
„Gewöhnlich verfolgen mich musikalische Ideen bis zur Marter. Ich kann sie nicht loswerden, sie stehen wie Mauern formiert. Ist es ein Allegro, das mich verfolgt, dann schlägt mein Puls stärker, ich kann keinen Schlaf finden. Ist es ein Adagio, dann bemerke ich, dass der Puls langsamer schlägt. Die Fantasie spielt mich, als wäre ich ein Klavier.“
Die Heidelberger Sinfoniker haben es sich zur Aufgabe erklärt, sämtliche Sinfonien dieses erstrangigen Vertreters der Wiener Klassik einzuspielen. Die vorliegende 4CD Box ist die vorletzte Aufnahme dieses 1999 begonnen Projekts. […].
Es sind wunderbar lebendige, erfrischend verspielte Aufnahmen, die eine ganze Breite an unterschiedlichsten Stimmungslagen, die Haydn imstande war auszudrücken, beinhalten. Die Heidelberger Sinfoniker zeigen sich entsprechend der Vorlagen beeindruckend wandlungsfähig. Elegant bis frech, mit Raffinement und sprudelnder Energie sind die drei- und viersätzigen Sinfonien hoch diszipliniert umgesetzt. Klumpp findet genau den richtigen Ansatz, geht in die Tiefe der Musik, lässt sie von seinem Orchester flüssig wie kraftvoll interpretieren und unterhält den Hörer ebenso anspruchsvoll wie kurzweilig. Fazit: Absolut empfehlenswert!
Aachener Zeitung, Pedro Obiera, 23.Februar 2024
Eine Mammutaufgabe für die Musikwelt
Die Heidelberger Sinfoniker arbeiten seit 25 Jahren an der Gesamteinspielung aller 104 Sinfonien von Joseph Haydn. Das Werk ist fast vollbracht. […]. Zu Jahresbeginn legten das Orchester unter Leitung von Johannes Klumpp in einer vierteiligen Box die Volumina 28 bis 32 vor, die 15 Werke vor allem aus der mittleren Periode Haydns enthalten. Gesamtaufnahmen in dieser Vollständigkeit sind noch immer rar.
Die einst bahnbrechenden Leistungen von Antal Dorati und Adam Fischer sind nicht mehr auf dem neuesten Stand. […] Die Heidelberger Interpretationen überzeugen vor allem durch die sympathische Absicht, historische Aufführungspraktiken zu berücksichtigen, ohne in starren Dogmatismus zu verfallen. Es geht Klumpp vor allem darum, die Experimentierfreude Haydns hörbar zu machen, mit der jedes einzelne, mit formalen und kompositionstechnischen Überraschungen und Finessen gespickte Werk sein individuelles Profil erhält. Ein Fest für Feinschmecker.
Und viel von der Klangfreude und der unerschöpflichen, oft mit feiner Ironie durchsetzten Fantasie Haydns ist den Heidelberger Einspielungen anzuhören. Spieltechnisch sauber, klanglich schlank und farbig, vital und stilistisch flexibel: Mit diesen Attributen gehören die Einspielungen zur ersten Wahl.
Johannes Klumpps Freude über die Leistung ist berechtigt: „Der Heidelberger Haydn ist ein Ausbund an Dynamik, Frische, Wildheit, Humor und Überraschungsreichtum. Ich freue mich, dass der Zyklus vollendet wird.“
Online Musik Magazin, Johannes Vesper, 3. April 2024
Seit 1999 haben sich die Heidelberger Sinfoniker, gegründet 1993, "ihrem Joseph Haydn" gewidmet. Fast alle 104 Sinfonien haben sie inzwischen aufgenommen. Zuletzt erschien vor kurzem als vorletzte Box Vol. 29-31 mit 16 Sinfonien[…]. Man wird jetzt schon feststellen, dass die 104 Sinfonien alles andere alles als in Fließbandproduktion komponiert worden sind. Immerhin hatte der Komponist rund 40 Jahre dafür zur Verfügung, also im Durchschnitt knapp drei Sinfonien pro Jahr komponiert.
Was sich jetzt schon lohnt, ist der Vergleich der vorliegenden Aufnahmen der Heidelberger Sinfoniker mit früheren Aufnahmen (Antal Dorati, Adam Fischer). Mit der Einspielung aller Haydn-Sinfonien in historischer Aufführungspraxis auf modernen Instrumenten (bis auf Naturhörner und Naturtrompeten und historischen Pauken) haben sich die Heidelberger Sinfoniker einen wichtigen Platz in der Haydn- Rezeption erspielt.
Im Konzertsaal werden die Sinfonien, die am Esterhazy'schen Hof für gute Stimmung sorgten, nur selten präsentiert. Mit subtilster Agogik, unaufdringlicher Präsenz, tänzerisch, agil, zwischen 3/8 und 3/4-Takt unterscheidend, stets lebhaft erzählend, musizieren die Heidelberger Sinfoniker erneut blitzsauber, temperamentvoll, mit Verve, Rasanz, überschäumender Spielfreude und Witz, ganz im Sinne Haydnscher Heiterkeit, die er trotz oder wegen seiner "bestia infernale" entwickelt bzw. bewahrt hat. [… ].
Was bedeutet eigentlich Humor in der Musik Haydns? Generalpausen, anschließende Tonartwechsel, unvermutete Akzente, lautmalerisches Einmischen von Esel- und anderen Schreien, atemberaubende Tempi (Hörner im ersten Satz der Symphonie Nr. 71), ungewöhnliche Besetzung und Wechsel der Instrumente von hoher Violine direkt zum Kontrabass (im Variationssatz z.B. der 72. Sinfonie aus dem Jahre 1763) ziehen die Mundwinkel nach oben. Johannes Klumpp, seit 2020 künstlerischer Leiter des Orchesters, ausgestattet mit seinen Erfahrungen vor vielen großen Orchestern (darunter u.a. die Düsseldorfer Sinfoniker und die Dresdener Philharmonie, etliche Rundfunkorchester) und geschätzt wegen seiner ebenso kenntnisreichen wie unterhaltsamen Moderationen von Konzerten, treibt die Heidelberger Sinfoniker zu dieser Brillanz. Für diese Einspielung hat er sehr lesbare und informative Texte im Begleitheft (Deutsch und Englisch) geschrieben.
Rondo Magazin, Attila Csampai, 04.03.2023
Seit 23 Jahren schon arbeiten die Heidelberger Sinfoniker an ihrer Gesamteinspielung aller Haydn-Sinfonien, und sind jetzt mit ihrem neuen Leiter Johannes Klumpp bei Folge 27 und vier frühen Eszterházer Arbeiten angekommen. Nachdem sich der Gründer und langjährige Chef des Ensembles Thomas Fey infolge eines schweren Unfalls zurückziehen musste, übernahm der heute 42-jährige Klumpp 2020 das Ensemble und will nun die ausstehenden Sinfonien in chronologischer Abfolge herausbringen:
So führt er seither auch den rabiaten, aufklärerischen Geist des von Fey etablierten musikalischen Konzepts nahtlos weiter, ja, die Spielfreude der 24-köpfigen Truppe klingt jetzt, nach der lähmenden Corona-Pause, noch wilder und entfesselter.
Die vier jetzt vorgelegten Sinfonien (Nr. 3, 33, 108, 14) stammen aus der Anfangsphase Haydns am Eszterházer Fürstenhof und entstanden 1761 und 1762, als der knapp 30 Jahre alte Haydn die aufwühlenden Energien der aktuellen „Sturm- und Drang“-Mode mit seinem damals schon ausgeprägten Experimentiergeist zu neuartigen „Versuchsanordnungen“ verdichtete, und so von Anfang seine eigene sinfonische Revolution in Gang setzte – ganz allein und „von der Welt abgesondert“, wie er später berichtete.
Gerade weil diese mitreißenden frühen Sinfonien bis heute kaum gespielt werden, ist die Bedeutung dieses bislang (erst) vierten Gesamtprojekts nicht zu unterschätzen: Bis 2024 soll es abgeschlossen sein, während Konkurrent Giovanni Antonini erst 2032 die Ziellinie anvisiert.
Noch mehr Sturm und Drang auf dem Weg mit Haydn
Rezension von Uwe Krusch, Pizzicato - Remy Franck's Journal – Classics In Luxembourg
Auf ihrem Weg zur Einspielung aller Symphonien von Joseph Haydn legen die Heidelberger Sinfoniker mit ihrem aktuellen Chef Johannes Klumpp nun eine Auswahl früher Werke vor.
Ein besonderer, eher rätselhafter Fall ist dabei die Nummer 108 in B-Dur. Trotz der hohen Nummer ist es eine frühe Komposition. Alle vier Sätze sind sehr kurz. Das musikalisch unauffällige Material im Allegro wird kaum durchgeführt. Immerhin bringt das Menuett eine zugespitzte punktierte Figur hervor, das Trio besticht durch das Fagottsolo. Das Andante ist besinnlich und unterliegt kontrapunktischer Bearbeitung. Für ein bemerkenswertes Klangbild sorgen die parallelen Dezimen.
Mit dieser bereits 27. Einspielung in der Reihe zeigen die Heidelberger Sinfoniker und ihr Dirigent Johannes Klumpp weiter durch die Sturm- und Drang-Werke von Haydn. Dazu passt ihre Herangehensweise, bei der sie voller Elan und Dynamik gemeinsam diesen Weg beschreiten. Es gelingt ihnen, aus den frühen Werken Facetten und Details herauszukitzeln. Dabei werden sie der Dynamik der schnellen Sätze mit frischem Zugriff ebenso gerecht wie rhetorisch ausformulierten langsamen Passagen. Das stürmende und drängende Spiel passt gerade für diese Werke bestens.
On their way to recording all of Joseph Haydn’s symphonies, the Heidelberg Symphony Orchestra with its current leader Johannes Klumpp now presents a selection of early works. A special, rather puzzling case is the number 108 in B flat major. Despite the high number, it is an early composition. All four movements are very short. The musically unremarkable material in the Allegro is hardly performed. At least the minuet brings out a pointed dotted figure, the trio captivates with the bassoon solo. The Andante is contemplative and subject to contrapuntal treatment. The parallel tenths make for a remarkable sound.
With this already 27th recording in the series, the Heidelberg Symphony Orchestra and its conductor Johannes Klumpp continue to show through the Sturm und Drang works of Haydn. Their approach is in keeping with this, in which they tread this path together full of verve and dynamism. They succeed in teasing out facets and details from the early works. They do justice to the dynamics of the fast movements with fresh access as well as to the rhetorically formulated slow passages. The stormy and urgent playing is particularly well suited to these works.
musicweb-international, Michael Cookson
Johannes Klumpp and the Heidelberger Sinfoniker make a strong case for these early symphonies.
Ich freue mich, Band 26 des geplanten Zyklus vollständiger Haydn-Sinfonien der Heidelberger Sinfoniker unter Johannes Klumpp begrüßen zu dürfen.[…].
Unter Johannes Klumpp haben die Heidelberger Sinfoniker, die als «einer der Weltkenner der Wiener Klassik» bezeichnet werden, die Reihe neu gestartet. Erst im vergangenen Monat habe ich Band 25 besprochen, das erste Album der Haydn-Reihe unter der Leitung von Klumpp […].
Der preisgekrönte Dirigent Klumpp[…], wie sein Vorgänger Thomas Fey, der diesen Haydn-Zyklus 1999 begann, ist ein Spezialist für historisch informierte Aufführungspraxis, die er mit seinen individuellen Instinkten verbindet. […].
Unter Klumpp zeigen die kammergroßen Heidelberger Sinfoniker eine ausgeprägte Wachsamkeit in Darstellungen, die sich hell, gewinnend und fokussiert anfühlen. Das Orchester besteht aus 21 Spielern: einer dreizehnköpfigen Streichergruppe, drei modernen Holzbläsern, vier historischen Blechbläsern und Pauken.
Für mich beinhaltet dieses Album den Überschwang, den Klumpp dem Eröffnungssatz Allegro der Symphonie Nr. 107 B-Dur und dem zweiten Satz Allegro der Symphonie Nr. 11 Es-Dur verleiht, der vor Energie geradezu aufbricht und eine überzeugend windgepeitschte Qualität erzeugt. Der substanzielle dritte Satz der Symphonie Nr. 32 C-Dur, Allegro ma non troppo, dauert über sieben Minuten; Klumpp erzeugt einen Anflug von Melancholie, während sein Gesamtcharakter vital ansprechend bleibt. In seinen Notizen weist Klumpp auf den Abschnitt bei 5:45-5:56 hin, der farbenfroh ist und ein etwas gewichtigeres Spiel einläutet. Besonders auffällig ist der Anfangssatz der Symphonie Nr. 15 in D-Dur mit der Bezeichnung Adagio – Allegro – Adagio. In den Außenteilen des Adagio-Satzes, die eine kräftige Presto-Passage bei 2,06-4:14 umrahmt, bewahren die Spieler eine unwiderstehliche Haltung und Eleganz.
Insgesamt spielen die Heidelberger Sinfoniker mit einer erhebenden Lebendigkeit, der Klang ihrer Instrumente harmoniert gut und erzeugt klare, farbenfrohe Texturen.
Pizzicato, Remy Franck
Eine CD voller Sturm und Drang: Johannes Klumpp dirigiert frühe Symphonien von Joseph Haydn, denn auch die mit der Nummer 107 komponierte Haydn bereits um 1760/61.
Die 26. Folge dieser Haydn-Reihe fügt sich nahtlos an die vorangegangenen Editionen an. Mit historischer Aufführungspraxis klingen die mit weniger als 20 Minuten relativ kurzen Symphonien kernig und brillant im Klang.
Klumpp rast freilich nicht durch die Werke hindurch, sondern dirigiert durchaus rhetorisch, und die Interpretationen sind durch die Kraft der der Musik innewohnenden Dramatik durchaus beachtenswert.
Die Heidelberger Symphoniker spielen wieder einmal hervorragend, zupackend und spritzig.
Rondo, Mario Felix Vogt
Seit über 20 Jahren arbeiten die Heidelberger Sinfoniker auf der Basis historisch informierter Aufführungspraxis an einer Gesamtaufnahme von Joseph Haydns 108 Sinfonien.[…]. Seit 2020 setzt Johannes Klumpp als neuer Künstlerischer Leiter des Orchesters die Haydn-Einspielungen fort. Auf ihrer aktuellen CD widmen sich die Heidelberger vier frühen Sinfonien, die alle aus den Jahren 1760/61 stammen, dabei ist die Sinfonie Nr. 15 bereits in der Funktion von Haydn als erstem Kapellmeister des Fürsten Esterházy entstanden. Auch hier agiert das Orchester aus der Neckarstadt voller Temperament und Frische und wunderbar spritzig, da wirken andere Klangkörper (zum Beispiel das sehr betulich aufspielende Toronto Chamber Orchestra) ein wenig wie unter Valium-Einfluss stehend: wer etwa den dritten Satz der viel zu selten gespielten Nr. 107 beider Ensembles im Vergleich hört, der meint, zwei völlig verschiedene Stücke zu erleben. Dennoch bleiben die Heidelberger in den langsamen Sätzen nicht an der Oberfläche, wie die klanglich fein differenzierte Gestaltung der langsamen Einleitung der Sinfonie Nr. 15 zeigt, die mit viel Sinn für das melodische Geschehen interpretiert wird. Somit bleiben die Heidelberger Sinfoniker bei Haydn weiterhin auf der bewährten Spur.
Klassik Heute, Rainer W. Janka, 13.10.2021
Haydn war nicht der Erfinder der Gattung Sinfonie, konstatiert Michael Walter in seiner Monografie über Haydns Sinfonien, wohl aber „der Erfinder dessen, was die Sinfonie im 18. Jahrhundert geworden ist[...]. Ihm beim Werden und Avancieren der Gattung Sinfonie dabei zuzuhören, ist immer ein musikalisches Vergnügen und ein veritabler Gewinn.
Vergnügen und Gewinn hat man auch beim Anhören dieser CD mit frühen Haydn-Sinfonien, die der Gesamtaufnahme aller Sinfonien, gespielt von den Heidelberger Sinfonikern, noch fehlen.
Großes Vergnügen hat man schon bei der Lektüre des Booklets: Da stellt Johannes Klumpp, seit kurzem Nachfolger von Thomas Fey am Pult der Heidelberger Sinfoniker, die gespielten Sonaten so herzerfrischend sympathisch, so wortgewandt und wortverliebt, so treffgenau in Beschreibung und Vergleich vor, dass man sofort nachhören will, ob das alles so zutrifft – oder dass man schon die Beschreibung fürs Hören nimmt. „1000-Volt-Musik“, „Groove“ und „schlitternde Triolen“ entdeckt er da in der Sinfonie Nr. 18, „kontrollierten Kontrollverlust“ im Kettenrondo der Sinfonie Nr. 2, „bohrende Düsternis“ in der Sinfonie Nr. 17 und „eine Canzonetta eines Liebenden unter dem Balkon der Geliebten“, einen das Hauptelement bildenden „Schluckauf“ und gar „Eselsschreie“ in der Sinfonie Nr. 20.
Und so vergnüglich frisch, so sprudelnd und liebevoll genau, so funkelnd und strömend, so zärtlich und spritzig spielen die Musiker auch. Hochbeschwingte und fast swingende Freude herrscht da, Freude am glänzenden, höfischen Klang und auch am geglückten passgenauen Zusammenspiel[...]. Feine vibratolose Violin-Klanggespinste entstehen da, wenn Blechbläser dazukommen, fügen sie sich bei allem heiteren Geschmetter organisch ein. So wird jede dieser Sinfonien, die vermutlich alle in der Zeit komponiert wurden, als Haydn 1757 bis 1761 beim Grafen Morzin auf Schloss Dolní Lukavice nahe Pilsen angestellt war, zu einem blankgeschliffenen musikalischen Edelstein.
Aufgenommen wurden diese Sinfonien des „Komponisten der Sonne“ (so schwärmt wiederum Johannes Klumpp) im Palatin Wiesloch, einem modernen Konzertsaal. Aber dem Rezensenten ist dieser wiewohl sehr genau abbildende Saal etwas zu nüchtern für diese musikalischen Kleinodien: ein wenig höfischer Glanz wäre schöner gewesen.
Matthias, Roth, Rhein-Neckar Zeitung, 16. September 2021
Das neue Gesicht der Heidelberger Sinfoniker
Das neue Gesicht der Heidelberger Sinfoniker heißt Johannes Klumpp, das macht nun auch die 25. CD-Einspielung in der Haydn-Reihe klar[..]. Dieser führt die Idee Feys fort, Haydns Werke neu zu sehen. Das hat freilich auch schon einen Bart - denn die historische Aufführungspraxis zählt nun auch schon einige Jahre. Dennoch unterschied sich der Musizierstil der Sinfoniker von Anfang an auch davon: Fey vertraute auf teils „moderne“ Instrumente und Stimmung, wollte aber die Blechbläser (Hörner, Trompeten) und Pauken gern naturbelassen, also ohne Ventile und mit harten Schlägeln, eher „militärisch“ als sinfonisch.
An diese Grundprinzipien der Heidelberger Interpretation hält sich nun auch Johannes Klumpp[..]. Aber auch andere Spezialitäten der Sinfoniker sind durchaus wiedererkennbar. Klumpp also ist einer, der Tradition ernst nimmt, auch solche, die noch nicht allzu alt ist. Die Sinfoniker aus Heidelberg bleiben daher wiedererkennbar, in ihrem Sound, in der Klangsprache, in der Interpretation.[…]
Das Orchester hat sich mit kleiner Besetzung (vier Erste und vier Zweite Geigen) auch personell wenig verändert - und auch stilistisch ist nicht so vieles anders geworden, obwohl (oder weil?) der Konzertmeister Benjamin Spillner die Leitung in der Zwischenzeit (auch für zwei dirigentenlos produzierte CDs) übernommen hatte: Die Orchestertradition also wurde weitergetragen.
Klumpp, den die Sinfoniker als Gastdirigenten lange kannten, bevor sie ihn als neuen Chef engagierten, greift diese auf: Er weiß, der „Sinfoniker-Sound“ aus Heidelberg ist ein international vermarktetes Kapital, das man nicht aus den Händen geben sollte. Für Haydn allemal:
Die erste CD mit Haydn-Sinfonien bei Hänssler erschien 1999 und schlug ein wie eine Bombe. Dieser „Haydn ohne Zopf“, wie Fey ihn fröhlich propagierte, fand zwar nicht jedermanns Zustimmung (denn Haydn habe seinen Perücken-Zopf durchaus mit Selbstbewusstsein getragen), aber anerkennend war das Echo allemal. Nicht zuletzt zeigten diese Aufnahmen, dass diese über 200 Jahre alte Musik auch auf „modernen“ Instrumenten ansprechend gespielt werden konnte.
Nun also setzen die Heidelberger ihre Sinfonie-Serie vielleicht nicht ganz so aufgekratzt fort, wie Fey das liebte, aber Klumpps eher gerundete Klangvorstellung widerspricht der alten Idee grundsätzlich nicht. Mit den Sinfonien Nr. 2, 17, 18, 19 und 20 folgt man der Chronologie auf zwischen Nr. 1, den „Tageszeiten“-Sinfonien und anderen Werken der Frühphase.[…] Die Chronologie der Haydn-Sinfonien nach der Entstehung entspricht längst nicht mehr den Nummerierungen durch Anthony van Hoboken, und so zählen diese Werke heute zur frühesten Epoche bis 1760/61 - also des noch nicht 30- jährigen Komponisten.
Entsprechend experimentierfreudig erscheinen sie heute: In der Form noch nicht fest gefügt, in der Satzfolge noch frei, so erscheinen die ersten Sinfonien aus Haydns Feder, die sich an italienischen und Mannheimer Vorbildern orientierten. Dreisätzig sind sie alle, und Nr. 18 (in der Chronologie Nr. 3) beginnt mit einem gefühlvollen Andante und endet mit einem Menuett (dessen Trio Klumpp mit Violin-Schleifern, kleinen Glissandi ausschmücken lässt). Dazwischen zieht ein rasches Allegro molto (Klumpp interpretiert es als „Presto“) die ganze Aufmerksamkeit auf sich.
Eine bemerkenswerte Einspielung, die die Reihe würdig fortsetzt, in der etwas mehr als die Hälfte der insgesamt 110 Werke bereits vorliegen.